Tarzan rettet Berlin

Dieser unkonventionelle Einstieg hätte Einar Schleef vermutlich gefallen: das Publikum wird in die Januar-Kälte hinausgescheucht. Eine Limousine fährt vor, die 13 Protagonist*innen schreiten hüftwackelnd und in rubinroten Togen über den eigens ausgerollten roten Teppich, während wir Spalier stehen. Ein glamouröser Auftritt, bei dem Andrea Nahles, falls sie als Hausherrin im gegenüberliegenden Willy Brandt-Haus zufällig aus dem Fenster schauen sollte, neidvoll erblassen dürfte.

Danach ist erst mal Pause: die Zuschauer*innen geben ihre Mäntel ab und suchen ihre Plätze im Theatersaal, das von wummernden „Shake it“-Beats beschallt wird. Sonst passiert zunächst nichts, bis sich nach einigen Minuten endlich eine Tür am Balkonfoyer öffnet und die tapferen 13 Chormitglieder eine steile, eigens angebrachte Rampe als Catwalk für ihren zweiten Auftritt nutzen. Schleef, der kommende Woche 75 Jahre alt geworden wäre, liebte dieses Spiel mit den Erwartungen und unerwarteten Pausen.

Nach diesem Prolog wechseln die Spieler*innen immer wieder zwischen Bühne und Rampe hin und her. Das weibliche Quartett Janina Audick (Bühne/Kostüm), Martina Bosse (Dramaturgie/Produktionsleitung), Brigitte Cuvelier (Choreographie) und Christine Groß (Chorregie) studierte mit einem jungen Ensemble eine Collage nach Schleefs Tagebüchern ein. Die meisten Spieler*innen waren wohl noch im Kindergarten, manche vielleicht gar nicht geboren, als Einar Schleef im Sommer 2001 überraschend starb.

Sein Stottern und die konfliktreiche Beziehung zu seinen Eltern gehören zu den ersten Puzzleteilen der Collage „Tarzan rettet Berlin“. Natürlich fließt an einigen Stellen auch Schleefs Gefühl ein, dass er nach der Ausreise aus der DDR zwischen allen Stühlen saß und in keinem der beiden Deutschlands heimisch war. Am stärksten ist der 90 Minuten kurze Abend jedoch, wenn er sich von Schleef löst und sich das Ensemble mit gelungenen Choreographien freispielt.

Schade ist, dass bei den ausgewählten Tagebuch-Notizen ein roter Faden fehlt. Das Chorprojekt, mit dem das Hebbel am Ufer in ein verlängertes Schleef-Festivalwochenende startet, setzt nur einige Schlaglichter und fokussiert sich vor allem auf die 1950er (Schleef begann schon als 9jähriger mit dem Tagebuch-Schreiben) und die 1980er Jahre.

Leitmotivisch schieben sich immer wieder Passagen über „Tarzan“ und „Jane“ an. Sie stammen offensichtlich aus dem ersten Schleef-Theaterstück, an dem er 1974 unter dem Arbeitstitel „Tarzan rettet Berlin“ schrieb.

Der glamouröse, rubinrote Einheitslook der Spieler*innen weicht nach und nach einem bunten Klamotten-Stilmix, bei einigen auch als Geschlechtergrenzen verwischendes Cross-Dressing mit jungen Männern in schicken Abendkleidern.

Recht unvermittelt endet der Abend nach letzten Tagebuch-Schlaglichtern. Martin Wuttke, einer der prägenden Spieler in Schleefs Frankfurter Inszenierungen, schaute dem kurzweiligen Abend leider nur vom Balkon direkt neben der Catwalk-Rampe aus zu.

Was hätte Schleef wohl zu diesem Abend gesagt? Gemessen an der Wucht und den starken Bildern seiner „Sportstück“-Uraufführung wirkt diese Hommage an sein Werk etwas zu brav.

Bilder: Hannes Francke/Ute Schall

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