Die Spielplangestaltung treibt manchmal skurrile Blüten. Nur einen Tag nach der „Antigone“-Premiere am Berliner Ensemble ist einige Meter weiter in der Box schon die nächste „Antigone“ zu erleben, diesmal eine Koproduktion des Deutschen Theaters Berlin mit dem inklusiven RambaZamba Theater. Dieser Abend stützt sich nicht auf Brechts Fassung mit ihren schwer zugänglichen, archaischen Hölderlin-Versen, sondern auf die modernere Walter Jens-Übersetzung der Sophokles-Tragödie aus dem antiken Griechenland.
Auffällig ist an beiden Abenden, wie respektvoll-behutsam sie sich dem Stoff nähern. Im Mittelpunkt steht die Werktreue gegenüber dem jahrtausendealten Mythos, am DT erleben wir sogar einen Chor, der jedoch wesentlich diverser zusammengesetzt ist als seine antiken Vorbilder (Frauen und Mäner, mit und ohne Migrationshintergrund, mit und ohne Behinderung, alt und jung, professionelle Spieler*innen und theaterbegeisterte Bürger*innen).
Lilja Rupprecht, die zuletzt am RambaZamba Theater „Die Frauen vom Meer“ inszeniert hat, schaltet der klassischen Tragödie jedoch ein kleines Satyr-Spiel vor und rahmt ihren knapp anderthalbstündigen Abend mit Freddie Mercury-Songs.
„Another One Bites the dust“ schallt es prophetisch aus den Boxen, während das Publikum den Saal betritt. Zwei düstere Gestalten mit schwarzen Vogel-Kostümen ziehen ihre Runden hinter einem Wald aus weißen Vorhangschnüren, schieben sie schließlich zur Seite und erzählen uns als Vorgeschichte vom Fluch, der über der Familie der Labdakiden liegt. Im Comedy-Stil spielen sich Lisa Hrdina (DT) und Jonas Sippel (RambaZamba) die Bälle zu, witzeln über den Ödipus-Komplex und Dr. Freud und bereiten schließlich die Bühne für den ersten Auftritt von Zora Schemm als Antigone.
Schon dieser Prolog macht deutlich, worum es diesem Abend geht: Die beiden Häuser wollen sich auf Augenhöhe begegnen. Die Spieler*innen mit Behinderung sind nie nur Anhängsel, sondern übernehmen tragende Rollen innerhalb des konfliktreichen Dramas, auch wenn sie in der Aufregung des Premierenabends mal etwas mehr Unterstützung von der Souffleuse brauchen.
Dieses inklusive Prinzip gilt auch für die beiden Hauptfiguren: Zora Schemm (RambaZamba) als Antigone versus Manuel Harder (DT) als Kreon. Kreon legt seinen Part als vor Zornesröte glühenden Machtmenschen an. Der Kontrast zur Leichenblässe des Martin Wuttke/Arturo Ui-Wiedergängers Oscar Hoppe könnte nicht größer sein. Ihm steht Zora Schemm im signalroten Kleid gegenüber, die sich bei ihrem letzten Monolog mit noch mehr roter Farbe übergießt und nach einem einsamen Tanz zu Boden sinkt.
Als schließlich auch Kreons Untergang besiegelt ist und Harder seiner Herrscherwürde beraubt nur noch in Unterhose und mit Sandhäufchen übersät am Boden liegt, hat Jonas Sippel seinen zweiten Comedy-Auftritt. Zu „I want to break free“ kommt er für seinen großen Kehraus mit dem Wasserschlauch auf die Bühne, um den ganzen angerichteten Schlamassel aufzuräumen – allerdings ohne Schnurrbart, Staubsauger und Rock aus dem Mercury-Video. Die tragischen Helden sind gestürzt, die Party des gesamten Ensembles kann beginnen.
Bilder: Arno Declair