Der letzte Gast

Die ambivalente Haltung zu „Fremden“ steht im Zentrum der Uraufführung „Der letzte Gast“, die im Rahmen des Autorenprogramms des Berliner Ensembles entstanden ist. Das „Fremde“ wird einerseits als bedrohlich wahrgenommen, ist schwer einzuordnen und weckt Misstrauen. Andererseits übt das „Fremde“ aber auch eine Faszination und Anziehungskraft aus.

Das „Fremde“ verkörpert in diesem Stück ein „Herr Blau“ (gespielt von Nico Holonics). Als einzige Figur des Abends wird er nie mit Vornamen angesprochen, er wird immer auf Distanz gehalten. Seine genaue Herkunft bleibt im Dunkeln, er kommt von „irgendwo aus dem Osten“.

Bei den meisten anderen Figuren löst er Angst und Abwehrreflexe aus. Nur Klara (verkörpert von Corinna Kirchhoff) gibt ihm eine Chance. Sie lernt ihn bei einer Taxifahrt kennen und lässt ihn die Bruchbude auf dem Nachbargrundstück renovieren. Sie kommt selbst aus der „Fremde“, die bei Klara aber im Gegensatz zu „Herrn Blau“ ganz konkret definiert ist: sie ist eine ehemalige Opernsängerin, die sich auf eine Zweckehe mit dem mittlerweile dementen Professor Helmut (Wolfgang Michael) eingelassen hat, der ihr zur Flucht aus der DDR verhalf.

Ihr Vertrauen wird enttäuscht: „Herr Blau“ wird als Dieb eines Rings überführt, Klara versinkt in einer todessehnsüchtigen, melodramatischen Abschiedsstimmung.

Soweit der Plot, den sich Árpád Schilling gemeinsam mit seiner Co-Autorin Éva Zabezsinskij ausdachte. Im Programmheft erfahren wir, dass die Textfassung erst während der Proben inspiriert von Improvisationen der Spieler*innen entstand. Trotz des hochkarätigen Ensembles gelingt es aber nicht, aus dem Handlungsgerüst einen sehenswerten Abend zu machen. Zu langatmig und zäh schleppen sich die 100 Minuten dahin.

Es war eine vielversprechende Idee, den ungarischen Regisseur Árpád Schilling vom „Fremden“ erzählen zu lassen: Mit seinem Ensemble Krétakör (Kreidekreis) entwickelte er sich zu einem Jungstar in Ungarn und einem Festival-Liebling mit regelmäßigen Gastspielen z.B. bei den Wiener Festwochen. In den vergangenen Jahren drifteten der ungarische Premier Viktor Orbán und seine FIDESZ-Partei, die peinlicherweise noch immer Mitglied der chtistlich-konservativen EVP ist, bekanntlich immer weiter nach rechts. Orbán schürte antisemitische Ressentiments, schaltete die Opposition und die kritische Presse aus und trat als xenophober Gegenspieler von Angela Merkels „Willkommens-Kultur“ auf. Schilling rieb sich im vergeblichen Kampf gegen den Rechtsruck in Ungarn auf, wurde zum „Staatsfeind“ erklärt, zog von Budapest nach Paris und inszenierte nun erstmals in Berlin. Das Thema Angst vor dem „Fremden“ und Faszination des „Fremden“ drängte sich für seine Inszenierung geradezu auf. Leider gelang es ihm nicht, in „Der letzte Gast“ daraus einen interessanten Theaterabend zu entwickeln.

Bild: © JR Berliner Ensemble

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