Ein Künstler zieht Bilanz. Mit Anfang 50 blickt Jérôme Bel auf die letzten zweieinhalb Jahrzehnte einer beeindruckenden Karriere als Choreograf zurück.
Für seine „Retrospective“ hat er ein ungewöhnliches Format gewählt: in einem dokumentarischen Video blickt er auf seine Laufbahn zurück. Bel begrüßt uns von der Leinwand mit einer kurzen Einführung, dass er für sein 20. Werk nichts Neues kreieren, sondern in einer Collage aus prägenden Szenen früherer Stücke den eigenen Entwicklungslinien nachspüren wollte. Es gehe ihm aber auch darum, die vergangenen Stücke für die Nachwelt zu erhalten. Das Video wird so zu ihrem Grabmal, sagt Bel melancholisch-resigniert am Ende seines Statements.
Schon bei den frühen Arbeiten aus den 1990er Jahren fällt eine Konstante auf: Geprägt von den französischen Philosophen der Postmoderne entwickelte er einen Konzepttanz, der bewusst nicht danach strebt, möglichst virtuos zu sein. Wenn er sich doch mal dem klassischen Ballett widmet, dann in einer kritisch-reflektierenden Performance wie „Véronique Doisneau“, die auf der Bühne der Pariser national Opéra 2004 das Ende ihrer Karriere reflektierte, die sie nie zu großem Ruhm führte.
Prägend für die Choreographien von Bel ist die Zusammenarbeit mit Laien und neuerdings auch mit Behinderten. Stellvertretend hierfür sind seine beiden wohl bekanntesten Arbeiten zu nennen, die den größten Raum in der 75 Minuten-„Retrospective“ einnehmen. „The Show must go on“ irritierte 2001 damit, dass Bel professionelle Tänzer*innen gemeinsam mit Leuten, die sonst im Hintergrund bleiben, wie z.B. einem Theaterarzt oder einer Kassenfrau gemeinsam zu bekannten Pophymnen Party machen ließ.
2012 brachte ihm „Disabled Theater“, seine Zusammenarbeit mit dem Zürcher „Theater HORA“, einem Ensemble mit geistig Behinderten, sogar die Einladung zum Theatertreffen. Auch in den kurzen Ausschnitten wird der Zauber dieses bemerkenswerten Abends bereits deutlich.
Bild: Hebbel am Ufer