Die Edda

Mehr als dreieinhalb Stunden lang entwirft Thorleifur Örn Arnasson ein großes Schöpfungs- und Weltuntergangspanorama.

Seine Fassung der isländischen „Edda“-Saga beginnt mit einer Überdosis Bühnennebel, auf die selbst der Nebelmaschinen-Meister Thom Luz neidisch sein könnte. Zu den dräuenden Klängen des Live-Musikers Gabriel Cazes verkündet aus dem Dunkel heraus die Seherin Völva (Susana Fernandes Genebra) den Mythos von der Entstehung der Welt.

Als sich der Nebel verzieht, richtet eine ganze Armada von Bühnenarbeitern, die an diesem Abend noch bei mehreren Großeinsätzen ins Schwitzen kommen, die Weltesche Yggdrasil auf, die im Zentrum der Drehbühne trohnt, bis sie im Bühnenboden versinkt.

Die drei Nornen, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verkörpern, wachen über die recht unübersichtlichen Intrigen und Machtkämpfe der Götter, die das Programmheft in Kurzfassung schildert. Vor allem Loki (Philippe Goos im glitzernden Anzug) und Thor (Sarah Franke mit Glatze und überdimensionalem Hammer, mit dem sie es vor der Pause donnern lässt) sind die Unruheherde in der Götterwelt. Wie eine Dampfwalze dreht sich über ihnen das Bühnenbild von Wolfgang Menardi, einem der spannendsten Bühnenbildner, der außer mit Thorleifur Örn Arnarsson vor allem mit Thom Luz und Yael Ronen zusammenarbeitet.

Die ersten beiden Stunden sind eine Collage voller Slapstick. Es wimmelt von Zwergen, Riesen und Dämonen. Es sei ihm nicht darum gegangen, eine „von A bis Z nachvollziehbare Geschichte zu erzählen, sondern ein facettenreiches Universum auf der Bühne zu schaffen.“ Das gerät oft albern und hat deutliche Längen. Die zweite Hälfte wird ernster: Elli, das hohe Alter, droht, dass es jeden unweigerlich einholt. Nur die Frage, wann das passieren wird, lässt er offen. Aus dem Off erzählt Mikael Torfason, Koautor der Stückfassung, autobiographische Geschichten von seinem Vater, der seinem kranken Sohn als Zeuge Jehova eine Bluttransfusion verweigerte und schließlich dem Alkohol verfiel. Endpunkt des Abends ist der Todeskampf von Baldur (Maximilian Grünewald), der sich einredet, dass er überleben wird, obwohl die Bühnenarbeiter die Baugerüste längst zum Einsturz bringen. Die Welt der Götter geht im Ragnarök, der isländischen Variante der Apokalypse, unter.

Selten gibt es wirklich gelungene Szenen wie die tolle Choreographie zu „My Body is a Cage“ von Arcade Fire, an denen der Abend zur Ruhe findet und über die hastige Jagd zum nächsten Collage-Schnipsel hinauskommt.

Ungewöhnlich ist, dass es in der Pause als Alternative zu Sekt und Häppchen einen Vortrag über den Unterschied von linearen und zirkulären Zeitvorstellungen gibt, bei dem Maximilian Grünewald zur Tour durch Epochen der Menschheitsgeschichte einlädt.

Mit dem „Edda“-Kraftakt wurde das Schauspiel Hannover überregional stark wahrgenommen. Für die Einladung zum Theatertreffen reichte es nicht ganz, obwohl die Inszenierung in der engeren Wahl war. Dennoch wird „Die Edda“ bald auch in Berlin zu sehen sein. Am Osterwochenende stehen zwei Aufführungen im Gastspielprogramm der Volksbühne an.

Bilder: Katrin Ribbe

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