The Town Hall Affair und Amarillo

Internationale neue Dramatik zu präsentieren ist Sinn und Zweck des FIND-Festivals an der Schaubühne. Am Abschlusswochenende laufen allerdings gleich zwei Gastspiele, auf die das Etikett „neu“ nur eingeschränkt zutrifft.

Aus New York ist die Wooster Group mit „The Town Hall Affair“ zu Gast, erstmals seit einem Jahrzehnt wurde diese legendäre Gruppe wieder nach Berlin gelockt. Elizabeth LeCompte hat sich mit ihrem Ensemble ein Re-Enactment eines Ereignisses vorgenommen, das vor fast 50 Jahren in New York für Furore sorgte. Norman Mailer, Germaine Greer und Jill Johnston waren die wichtigsten Protagonist*innen eines Town Hall-Panels und diskutierten über ihre sehr gegensätzlichen Ansichten zum Stand der Gleichberechtigung und zum Geschlechterverhältnis.

Norman Mailer war damals gerade auf dem Höhepunkt seines Erfolgs. Für seine Vietnamkriegs-Proteste-Reportage „Heere aus der Nacht“ hatte er gerade den ersten von zwei Pulitzer-Preisen gewonnen. Sein polemischer Essay „Prisoners of Sex“ war Auslöser für diese öffentliche Debatte „A Dialogue on Womens’s Liberation“. Als seine Kontrahentinnen waren die australische Publizistin Germaine Greer, die kurz zuvor „The Female Eunuch“ veröffentlicht hatte, und – nach mehren prominenten Absagen – die lesbische „Village Voice“-Kolumnistin Jill Johnston auserkoren.

Die beiden legendären US-Dokumentarfilmer Chris Hegedus und D.A. Pennebaker, Pioniere des Direct Cinema, waren live dabei und veröffentlichten aus diesem Material fast ein Jahrzehnt später (1979) den Film „Town Bloody Hall“. Dieses Zeitdokument wird nur selten gezeigt, lief allerdings früher regelmäßig im Münchner Programmkino Lupe 2. Wer jemals die Chance hatte, dieses Werk zu sehen, kann bestätigen, dass der Titel „Town Bloody Hall“ treffend gewählt ist: in dieser Diskussion brannte die Luft. Hegedus und Pennebaker fingen das Dreiecksverhältnis der Hauptakteur*innen exzellent ein: Zum einen zeigt der Film den machistischen Narzissmus des Starautors Norman Mailer, aber auch seine Ratlosigkeit, als Johnston ihr Manifest vortrug, dass jede Frau lesbisch sei. Er zeigt aber auch den Flirt und die begehrenden Blicke zwischen Greer und Johnston. Selbstverständlich hält er auch die vielen empörten Zwischenrufe und Aufwallungen des Publikums fest.

Die Idee, dieses historische Dokument aus der Geschichte der Frauenbewegung in einem Re-Enactment einer breiteren Öffentlichkeit neu zugänglich zu machen, ist verdienstvoll. Die Wooster Group stößt in ihrer Produktion, die 2017 kurz vor Beginn der #metoo-Debatte in New York Premiere hatte, aber deutlich an ihre Grenzen. Während ausgewählte Archiv-Aufnahmen auf einem Bildschirm im Hintergrund flimmern, sprechen die Spieler*innen lippensynchron mit, fallen aber auch immer wieder aus der Rolle und setzen sich beispielsweise Pappkrönchen auf. Es ist schon eine Leistung, eine derart mitreißende Debatte zu einem derart belanglosen Abend zu verzwergen, der dem Vorbild nicht mehr gerecht wird.

Die Wooster Group klebte als Rahmenhandlung noch Ausschnitte aus dem später veröffentlichten Buch „Lesbian Nation“ von Jill Johnston dran, die Kate Valk vor und nach dem Film-Re-Enactment vorträgt. Damit wird zwar sehr deutlich, wem die Sympathien der Wooster Group gehören, dieser Vor- und Abspann kann den Abend aber auch nicht mehr retten. Das Film-Original lohnt sich wesentlich mehr als die knapp einstündige Wooster Group-Performance.

Das zweite Gastspiel, das nicht ganz taufrisch ist, ist „Amarillo“ des mexikanischen Teatro Linea de Sombra. Es handelt sich hier nicht um ein Re-Enactment jahrzehntealter Debatten, sondern um eine Produktion, die bereits sieben Jahre auf dem Buckel hat und seitdem international tourt.

Dass „Amarillo“ dennoch zum Festival Internationaler Neuer Dramatik an der eingeladen wurde, hat einen nachvollziehbaren Grund. Das Thema der mexikanischen Flüchtlinge, die dehydriert durch die Wüste und das Grenzgebiet zwischen ihrem Heimatland und den USA irren, hat durch Trumps Pläne, eine Mauer zu errichten, international noch mehr Aufmerksamkeit bekommen.

Jorge A. Vargas und seinen Spieler*innen fehlen während dieser Stunde im Studio allerdings die Mittel, den brisanten Stoff zu einem überzeugenden Theaterabend zu verdichten. Aus zahlreichen Interviews mit Flüchtlingen und mit den Frauen, die sie zurückließen, destillieren sie ein Puzzle kleiner Statements, die als sprödes Dokumentartheater wenig Neuigkeitswert haben und die Leidenswege der Betroffenen nur erahnen lassen.

Selten gelingen „Amarillo“ (benannt nach einem Sehnsuchtsort der Flüchtlinge in Texas) so plastische Bilder wie die Wasserkanister für die Verdurstenden, die in einer frühen Szene auf der gesamten Bühnenfläche platziert werden, oder der Sand, der aus Säckchen im Schlussbild auf die verstreuten Klamotten der auf der Flucht Umgekommenen rieseln.

Vorschaubild aus „The Town Hall Affair“: Steve Gunther; Bild aus „Amarillo“: Sophie García

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