No Sex

„Was sind denn das für welche?“ Das fragt sich nicht nur Annette Paulmann als Putzfrau, sondern auch das Kammerspiele-Publikum: vier verkrampfte junge Männer bewegen sich storchenhaft und mit absurden Verrenkungen durch eine Karaoke-Bar. Die schrägen Vögel (gespielt von Thomas Hauser, Christian Löber, Benjamin Radjaipour, Franz Rogowski) sprechen sich gegenseitig nur mit Pflanzen-Namen an und sind auch sonst nicht ganz von dieser Welt. Abwechselnd treten sie ans Mikro und versuchen sich an Popklassikern wie „Like a virgin“ von Madonna oder „Smells like Teen Spirit“ von Nirvana. Genauso ungelenk wie die vier Jungs sind auch die Übersetzungen der Song-Texte, über die sie anschließend im hochgestochenen Pollesch-Stil diskutieren.

Besonders verwunderlich ist für dieses Quartett, dass in diesen Songs so viel von großen Gefühlen, Liebe und Sex die Rede ist. Damit können sie gar nichts anfangen. Mit großen Augen und jugendlicher Naivität rätseln sie über die Texte.

Toshiki Okada porträtiert in „No Sex“, seiner dritten Regie-Arbeit an den Münchner Kammerspielen, eine junge Generation in Japan, die einschlägigen, im Programmheft zitierten Studien zufolge erstaunlich zölibatär und lustfeindlich lebt und damit die Probleme einer ohnehin überalterten Gesellschaft verschärft.

Der Witz dieser Inszenierung, die zwischen Musik-Comedy, Pollesch-Anklängen und Generationsporträt in keine Schublade passt, liegt im Aufeinanderprallen der Welten und Generationen in der zweiten Hälfte. Als Paulmann nostalgisch von früheren, freizügigeren Zeiten schwärmt und die Karaoke-Bar mit Donna Summer aufmischt, tauen auch die vier trübsinnigen Zimmerpflanzen langsam auf. Benjamin Radjaipour verrenkt sich noch mehr, als Paulmann mit ihrem flirten will. Als Mutigster traut sich nur Thomas Hauser einen zarten Kuss.

Die verunsicherten Vier kommen kurz ins Grübeln, ob sie ihre Keuschheits-Grundsätze aufgeben, entscheiden sich aber dann im Chor doch dafür, bei ihrem Weg zu bleiben: Andere machen es, aber wir machen es nicht. Stefan Merki, wie Annette Paulmann ein Vertreter der früheren Kammerspiele-Ära, fragt sich als Inhaber der Bar, was er denn nun von diesen ungewöhnlichen Jungs halten soll: Sind sie nur besonders verstockte junge Männer, die sich in ihrer eigenen Welt eingesponnen haben und irgendwann doch noch im Leben und ihren Körpern ankommen werden? Oder sind sie ein subversiver „Cluster“, wie sie sich selbst nennen, der bewusst Normen und Wertvorstellungen in Frage stellt?

Die Theatertreffen-Jury hatte „No Sex“, das vor einem Jahr an den Münchner Kammerspielen Premiere hatte, zwar auf dem Schirm, entschied sich dann aber statt dieser ungewöhnlichen, Lilienthals Eigenwilligkeit pflegenden Inszenierung doch lieber für manch Bewährtes und viele alte Bekannte, die im Mai in Berlin zu erleben sein werden.

Bilder: Julian Baumann

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