Schnee Weiss

Selbstironisch nennt Elfriede Jelinek ihre aktuelle Textfläche „Schnee Weiss“ im Untertitel „Die alte Leier“. Tatsächlich handelt es sich um eine typische Jelinek-Wut-Suada mit vielen vertrauten Motiven: Ihre Lust an Kalauern, die diesmal oft recht zotig wirken und um „Spalten“ und „Löcher“ kreisen, ihre Wut auf die katholische Kirche und – vor allem aus dem „Sportstück“ bekannt – den Leistungsdruck im Spitzensport, der Menschen wie Maschinen zurichtet und unter die Räder kommen lässt.

Auslöser für diesen Text war ein Interview von Ex-Skirennläuferin Nicola Werdenigg, die kurz nach dem Fall Harvey Weinstein während der #metoo-Debatte dem österreichischen Skiverband vorwarf, dass es in den 1970ern zu Vergewaltigungen und sexuellem Missbrauch in Skiinternaten und im Wettkampf-Kader kam.

Wer jemals ORF-Übertragungen von alpinen Skirennen gesehen hat, weiß, mit wie viel Herzblut und Chauvinismus die Kommentatoren ihre Athlet*innen anfeuern. Jelinek bezeichnet den alpinen Rennsport als eine „heilige Kuh“ ihrer Landsleute, die Uraufführungs-Regisseur Stefan Bachmann auch symbolisch über die Bühne trotten lässt. In den zugänglicheren, weniger kryptischen Passagen ihrer Textfläche führt Jelinek das „Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“-Prinzip der sprichwörtlichen drei Affen vor. Niemand will etwas gewusst haben. Margot Gödrös karikiert im Rollstuhl und mit Schweizer Akzent den Unternehmer und ÖSV-Präsidenten Peter Schröcksnadel, der wie Gottvater über den Dingen stehen möchte.

Hier schlägt Jelinek den Bogen zu einer anderen patriarchal und autoritär geprägten Organisation, die von Missbrauchsskandalen erschüttert wurde: zur katholischen Kirche. Sie bedient sich bei Motiven des kaum bekannten, 1894 erschienen, satirisch-grotesken Dramas „Das Liebesdomizil“ und lässt sich von ihrer assoziativen Sprachbegeisterung treiben.

Nach der ersten der beiden Stunden lichteten sich viele Reihen beim Autorentheatertage-Gastspiel der Kölner Uraufführungs-Inszenierung in Berlin: zu schwer wiegen die Textbrocken, zu langatmig ist der Mittelteil des Abends. Die Spielfreude des starken Ensembles, das mit Skifahr-Einlagen unterhält, die tollen Kostümen (Jana Findeklee und Joki Tewes) und die provozierend-schräge Musikauswahl (Gajek) von DJ Ötzis „Ein Stern“ bis zu „Last Christmas“ sorgen zwar für unterhaltsame Momente.

Dem regieführenden Intendanten Stefan Bachmann ist es aber nicht gelungen, den ausufernden Text in den Griff zu bekommen und eigene Akzente zu setzen. Margarete Affenzeller fühlte sich im Wiener „Standard“ zurecht an einen „Jelinek-Inszenierungskatalog“ erinnert.

Auch die Autorin selbst sorgt am Ende für Stirnrunzeln und Fragezeichen. Es scheint alles gesagt, die ersten Zuschauer*innen setzen bereits zum Schlussapplaus an, als sie als kurzen Nachklapp noch die Szene des mysteriösen Giftgas-Anschlags am Flughafen von Kuala Lumpur auf einen Halbbruder des nordkoreanischen Präsidenten dranhängt.

Ratlose Gesichter unter den Zuschauer*innen, die bis zum Schluss blieben, und freundlicher Applaus für die Schauspieler*innen: Es gab ein Wiedersehen mit Sabine Waibel und Nikolay Sidorenko, die beide schon in DT-Inszenierungen mitspielten, und mit Simon Kirsch, der mit Kölner Aufführungen fast schon Autorentheatertage-Stammgast ist und diesmal einen langen Monolog als Kopftrophäe ohne Körper hat, der besonders kryptisch ist.

Bilder: Tommy Hetzel

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