Das Filmfest München ehrte Bong Joon-ho, den frisch gebackenen Gewinner, nicht nur mit der Präsentation seines neuen Films „Parasite“, sondern auch mit einer kompletten Retrospektive.
Ich hatte die Gelegenheit, zwei seiner Filme zu sehen: Eine Rarität ist die Tragikomödie „Hunde, die bellen, beißen nicht“. Sein Debütfilm aus dem Jahr 2000 hat bereits alles, was einen Bong Joon-ho-Film auszeichnet: präzise gezeichnete Figuren, eine große Prise schwarzen Humors, ein paar groteske Momente, Ideen- und Temporeichtum sowie nicht zu vergessen bissige Gesellschaftskritik.
In „Hunde, die bellen, beißen nicht“ kreuzen sich die Wege zweier Menschen in einer Hochhaussiedlung in Seoul: Die eine Hauptfigur ist Yoon-ju (Lee Sung-jae), ein arbeitsloser Akademiker, der bei der Besetzung der Professur nicht zum Zuge kam, weil der Konkurrent seine Bewerbung mit einigen Scheinen und Aufmerksamkeiten untermauern konnte. Zuhause steht er unter dem Pantoffel seiner sehr dominanten Freundin. Während er in der kleinen Wohnung auf sie und ihre nächsten Anweisungen wartet, die er devot ausführt, treibt ihn das Kläffen von Kötern in der Nachbarschaft in den Wahnsinn.
Als Running-Gag entführt er lästige Vierbeiner, scheitert aber immer wieder daran, das Tier zu erdrosseln oder vom Dach zu stürzen. Stattdessen landen die Hunde zielsicher im Kochtopf des Hausmeisters oder prekärer Gestalten. Der Geduldsfaden reißt bei Yoon-ju endgültig, als auch seine Freundin einen kläffenden Schoßhund anschleppt, den er während ihrer Abwesenheit natürlich Gassi führen und füttern muss.
Als sich in der Nachbarschaft die verzweifelten Such-Meldungen häufen, kommt Hyun Nam (Bae Du-na) ins Spiel. Sie arbeitet im Nachbarschaftsbüro und träumt von ihren sprichwörtlichen 15 Minuten Ruhm. Sie beobachtet Yoon-ju durch ihr Fernglas und macht sich auf eine Verfolgungsjagd voller neuer Verwicklungen, an deren Ende ein falscher Verdächtiger verhaftet und Yoon-ju schließlich doch noch Professor wird.
„Hunde, die bellen, beißen nicht“ ist der schöne Fall eines vielversprechenden Debüts, dem tatsächlich eine große Karriere folgte.
Zum Abschluss der Retrospektive lief Bong Joon-hos bislang vorletzter Film „Okja“, der 2017 im Wettbewerb von Cannes vor allem deshalb Wellen schlug, weil er die „Wie hältst Du es mit Netflix?“-Debatte auslöste: Statt eines regulären Kinostarts lief das bildgewaltige Drama über genmanipulierte Riesenschweine, militante Tierechtler*innen und ein kleines koreanisches Mädchen, das sich mit dem Riesenschwein Okja anfreundet, nach dem Festival nur exklusiv auf Netflix.
Auch „Okja“ ist zwar ein sehenswerter Film, aber für Bong Joon-ho ist es ungewöhnlich, wie sehr diesmal die gesellschaftskritische Botschaft in den Mittelpunkt rückt. Der gierige Großkonzern Mirando, um dessen Führung sich die Zwillingsschwestern Lucy und Nancy (Tilda Swinton) bekriegen, möchte den Weltmarkt mit genmanipuliertem Fleisch eigens gezüchteter Supertiere überschwemmen. Gegenpol zu ihrer Skrupellosigkeit ist das Mädchen Mija (Ahn Seo-hyeon), die gemeinsam mit Okja auf dem koreanischen Bergbauernhof ihres Opas aufwächst und für die anrührenden Momente in diesem zweistündigen Film sorgt.
Mit Jake Gyllenhaal als Dr. Johnny Wilcox, der zappeligen Karikatur eines verrückten Wissenschaftlers ohne moralische Grenzen, und Paul Dano als Anführer der ALF-Tierrechts-Aktivist*innen setzte Bong Joon-ho diesmal sehr stark auf Hollywood-Glamour und Vermarktbarkeit. Der Charme seines Ideenreichtums und seiner grotesken Ideen geriet in „Okja“ im Vergleich zu seinen anderen Filmen etwas ins Hintertreffen.
Im „Snowpiercer“-Science-fiction-Action-Drama mit Tilda Swinton, das ich zum Kinostart 2014 hier besprochen habe, gelang es Bong Joon-ho noch besser, internationale Stars und skurrile Ideen zu einem Film-Erlebnis zusammen zu bringen.
Bilder: © FILMFEST MÜNCHEN 2019