Schmeiß dein Ego weg und feier was du liebst – Für René

Wie begeht man den Abschied von einem Intendanten, der das Haus drei Jahrzehnte als Autor und Regisseur entscheidend prägte und überraschend aus dem Leben gerissen wurde? Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz entschied sich, erstmal den roten Teppich im Sternfoyer für eine große Ballroom-Party auszurollen. So viel jugendlicher Drive, so viel Queerness war in einem Berliner Theater lange nicht zu erleben. Das House of St. Laurent, das während Polleschs Intendanz im Roten Salon zu Gast war, zelebrierte schon ab 17 Uhr zum Auftakt dieses langen Abends eine Show voller Extravaganz, an der René Pollesch ziemlich sicher große Freude gehabt hätte. Vielleicht hätte er auch einmal noch so gestrahlt wie beim Premieren-Jubel um Florentina Holzingers „Ophelia´s got talent“, die seiner Intendanz Haus die einzige tt-Einladung und einen zuverlässigen Kassenhit bescherte.

Später, während der dreistündigen Revue, kam kurz vor Schluss auch Holzinger mit ihren Matrosinnen auf die Bühne. In ihrer authentischen Art erzählte sie, wie sie Pollesch in einer Bar kennenlernte, er ihr Carte blanche für alle Experimente gab und sogar seinen Sommer-Urlaub 2022 opferte: Aus Sicherheitsgründen musste irgendjemand vom Haus draußen auf der Probebühne in Karlshorst dabei sein, wo Holzinger und ihre Frauen an „Ophelia“ arbeiteten.

Authentisch war ein Wort, das Pollesch hasste, legendär ist sein Spruch von der „authentischen Kuh“. Eine solche leibhaftige Kuh stand schon 2021 in „J´accuse!“ am Schauspielhaus Hamburg auf der Bühne und musste sich von Sophie Rois beschimpfen lassen. Eine Kuh am Strick ihres Bauern und Volksbühnen-Star Rois als Anführerin eines Witwen-Chors (mit den Frauen des Ensembles und vielen Gästen anderer Häuser wie Sachiko Hara und Katrin Wichmann) lieferten sich auch diesmal ein Duell.

Grundprinzip dieser Revue war, dass die Weggefährt*innen von Pollesch Ausschnitte aus gemeinsamen Inszenierungen zeigten: ein Best-of im Bühnenbild des gewaltigen Vorhangs, der dem Intendanz-Start-Projekt seinen Namen gab. Den Auftakt machten Soli von Martin Wuttke und Fabian Hinrichs mit zentralen Passagen aus „Kill your Darlings„. Bei diesen beiden langen Platzhirsch-Auftritten machte sich das Ego der Stars allerdings etwas zu breit.

In schnellerem Wechsel folgten HipHop von der Flying Steps Academy, Kathrin Angerer auf der Suche nach dem Drama oder das Slapstick-Trio Milan Peschel/Trystan Pütter/Martin Wuttke in ihren Strampelanzügen aus den späten Castorf-Jahren. Dirk von Lowtzow, der zu Pollesch-Abenden manchmal die Musik beisteuerte, gab seinem verstorbenen Freund ein persönliches Abschiedsständchen und appellierte an den Kultursenator Joe Chialo (CDU).

Wie es an der Volksbühne weitergeht, ist noch unklar. Mit der Revue vom Donnerstag gelang dem Haus ein würdiger, ganz unsentimentaler, heiterer Abschied von einer Ära.

Bilder: Thomas Aurin

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