La Flor

Von Locarno aus trat „La Flor“ von Mariano Llinás seinen Siegeszug über die Festivals an. Nach Screenings in Toronto und München bringt ihn der Grandfilm Verleih nun auch in ausgewählte Programmkinos, die mutig genug sind, in ihrem Programm genug Platz für dieses mehr als 14stündige Monumentalwerk freizuschaufeln.

Für den Konsum von „La Flor“ empfiehlt der Regisseur zwei Varianten: acht einzelne Episoden oder drei längere Blöcke, die mit kurzen Pausen bis zu sechs Stunden dauern. Volksbühnen-gestählte Castorf-Besucher erinnert das an die langen Saalschlachten am Rosa-Luxemburg-Platz: hier wie dort wechseln sich Glanzlichter und längere, zähflüssig dahin mäandernde Passagen ab.

Stilprinzip von „La Flor“ ist die augenzwinkernd-ironische Hommage an die Abgründe der B-Movies. Ohne Scheu stürzen sich der Regisseur und seine vier Hauptdarstellerinnen Elisa Carricajo, Valerie Correa, Pilar Gamboa und Laura Paredes in die Welt des Trash-Kinos und spielen mit den Genre-Konventionen. In der Sumpfdotterblüten-Welt von „La Flor“ erleben wir den Fluch einer Mumie, die eine tollwutartige Krankheit bei ihren Opfern auslöst, ein schräges Schlager-Musical verschränkt mit einer fanatischen Sekte, die mit Skorpion-Gift nach dem ewigen Leben trachtet, eine wüste Agentinnen-Kolportage um einen entführten Wissenschaftler, bei dem ein Strippenzieher zwei Hit-Teams von Profikillerinnen aufeinanderhetzt, bevor der letzte Block in mythische Reflexionen über Bäume und Casanova, eine Meta-Satire über ausufernde Filmprojekte und ein Renoir-Remake mündet.

Llinás liebt es, in jeder einzelnen Episode mit den Genre-Stilmitteln zu spielen und Spannung aufzubauen, bevor er den Cliffhanger setzt, dem garantiert keine Auflösung folgt, sondern etwas ganz anderes. Die vier Hauptdarstellerinnen und die zahlreichen Nebendarsteller*innen, die im circa halbstündigen Abspann gewürdigt werden, finden sich in der nächsten Episode in einem ganz anderen Umfeld wieder – getreu dem Monty Python-Motto „And now to something completely different…“

Wer nur in einen Teil dieses Kosmos, an dem Llinás und sein Ensemble knapp ein Jahrzehnt gearbeitet haben, hineinschnuppern möchte, sollte sich die Agentinnen-Geschichte herauspicken: Block 2 bzw. Episode 3-5. Diese Sequenz ist besonders virtuos komponiert und könnte auch gut für sich allein stehen. Der letzte Block (Episoden 6-8) ist in seiner Manieriertheit ermüdend und sehr anstrengend, aber kaum noch beglückend.

Wer sich auf das komplette Mammutwerk einlässt, erhält auch gleich einen Einblick in den cineastischen Geschmack des künftigen Berlinale-Direktors Carlo Chatrian, der diesen Film beim letzten von ihm kuratierten Locarno-Festival im Sommer 2018 ins Programm nahm. Ein solches die Genregrenzen sprengendes, experimentierfreudiges Werk könnte man sich bei Dieter Kosslick, dem scheidenden Berlinale-Chef, kaum vorstellen. Das Publikum kann sich am Potsdamer Platz in den kommenden Chatrian-Jahren auf einiges gefasst machen!

Bild: Grandfilm

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