Niemand stirbt in der Mitte seines Lebens

Mit vielen privaten Anekdoten changiert diese neue „Nico and the Navigators“-Produktion zwischen den Extremen, die im Barock noch so nah beieinander lagen: Der Abend versinkt in tiefem Abschiedsschmerz, schlägt um in ein letztes ekstatisches Aufbäumen purer Lebensfreude im Angesicht des Todes und kippt im nächsten Moment zurück in die Sehnsucht nach dem erlösenden Tod.

Als Streifzug durch die Epochen der Musikgeschichte haben Regisseurin Nicola Hümpel und ihr musikalischer Leiter Matan Porat (am Klavier) diesen Liederabend angelegt: Von Bachs „Ich freue mich auf meinen Tod“ und der Vertonung des „Abendlieds“ von Andreas Gryphius geht es in die jüngste Vergangenheit zu „In a graveyard“ von Rufus Wainwright oder Ludwig Hirschs „Komm, großer, schwarzer Vogel“.

Letzteres ist ein Höhepunkt des Abends: die Sopranisistin Julla von Landsberg trifft den makaber-morbiden Ton des österreichischen Liedermachers Hirsch, den der ORF seinen Hörer*innen damals nicht zumuten wollte, perfekt und macht daraus ein szenisches Kabinettstückchen.

In den meisten anderen Fällen gelingen die Synthese von Musik, Performance und Tanz, die das Markenzeichen der „Navigatoren“ ist, diesmal nicht so gut. Julla von Landsberg und ihre beiden Kollegen Ted Schmitz (Tenor) und Nikolay Borchev (Bariton) wechseln sich in den Gesangspartien ab. Sie werden umkreist vom Tanz-Duo Yui Kawaguchi und Ruben Reniers sowie Annedore Kleist, die geisterhaft immer wieder über die Szene schwebt und ironische Einwürfe gibt. Auch die vier Musiker*innen (Porat, die Violinistin Elfa Rún Kristinsdóttir, Winfried Holzenkamp und Philipp Kullen) steuern ein paar autobiographische Erfahrungen mit dem Tod als Einsprengsel bei.

Über weite Strecken wirkt der Liederabend beliebig. Die szenische Umsetzung kommt oft nicht über eine recht hilflose Untermalung der berühmten Musikstücke hinaus. Das Anlachen gegen den Tod, das sich durch viele Szenen zieht, rutscht auf der Gratwanderung manchmal ins Alberne ab, wie auch Kulturradio nach der Uraufführung im Konzerthaus Berlin kritisierte.

Nach der Premieren-Serie in der Osterwoche war „Niemand stirbt in der Mitte seines Lebens“ an diesem heißen Wochenende an drei Terminen im Radialsystem V zu erleben.

Bilder: Piet Truhlar

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