Herzstück

Zur Spielzeiteröffnung lassen es die Theater meist richtig krachen. Prominente Namen sollen das Publikum anlocken. Gedankenschwere Konzepte werden als Leitmotive angekündigt und neue Ensemblemitglieder vorgestellt, um das aus dem Strandkorb zurück in den Alltag geworfene Publikum auf sich aufmerksam zu machen.

Einen großen Namen fährt zwar auch das Gorki Theater auf: das kettenrauchende Orakel Heiner Müller, einen der bedeutendsten Dramatiker des ausgehenden 20. Jahrhunderts, gefürchtet für seine voluminösen, oft unzugänglichen Stücke.

Und doch geht das Gorki den umgekehrten Weg. Nur eine kleine Clownerie, 75 Minuten kurz, soll es zur Spielzeiteröffnung sein. Dafür suchten sie sich den kürzesten Müller-Text aus, „Herzstück“, ein skurriler Dialog zwischen zwei Clowns, der nur 14 Zeilen füllt.

Die Verweigerung, das Aussteigen aus den Tretmühlen der Leistungsgesellschaft und den Zwängen des Kunstbetriebs: das sind die Themen von Hausregisseur Sebastian Nübling und seinen 7 Harlekinen, die über die Bühne des Containers stolpern, der neuen Spielstätte, die klobig neben dem Gorki-Schmuckkästchen errichtet wurde.

In langen Slapstick-Schleifen spielen sie die Verweigerungs-Haltung in mannigfachen Varianten durch. Dominic Hartmann (Neuzugang vom Schauspielhaus Zürich) kommt hochmotiviert, sehr dienstbeflissen und mit aufgesetzter Laune auf die Bühne. Doch ihm will erst mal keiner folgen. Mazen Aljubbeh klebt sich den Mund zu, trägt Protestplakate wie „Work is Diseaese“ durch die Gegend und qualmt in Null-Bock-Haltung im Türrahmen zum Garten. Vidina Popov versucht, die anderen anzustacheln und kündigt immer wieder an, dass es jetzt ganz bestimmt gleich mit dem Stück von „Heiner – bäm! – Müller“ losgeht. Aber es will einfach nichts klappen: die Gerüste brechen zusammen, Elena Schmidt nimmt die Schuld auf sich, weil sie es „ur versaut“ hat, wie man in ihrer Wiener Heimat sagt, und will seufzend wie Sisyphos von vorn beginnen.

Wie André Mumot in seiner Nachtkritik schrieb, muss man für diesen streckenweise sehr ermüdenden und oft zu erwartbaren Slapstick einiges an Geduld aufbringen. Als zwei kleine Staubsauger-Roboter nach 75 Minuten in Aktion treten, dabei aber sofort von den vielen Kabeln und Mikros, die ihnen im Weg liegen, ausgebremst werden, bekommt das Publikum nach aller ironischen, mit Marx-Zitaten auf dem Gaze-Vorhang und im Programmheft garnierten Verweigerung doch noch den kompletten „Herzstück“-Text im unverkennbaren Müller-O-Ton vom Band, nachdem ihn die hyperventilierende Vidina Popov so oft vergeblich angekündigt hat.

Die Clowns verbeugen sich artig, springen von der Bühne und machen den Weg frei, dass die Theatersaison nach dieser Spätsommer-Spielerei nun bald wirklich beginnen kann.

Bild: Esra Rotthoff

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