Jutta Wachowiak erzählt Jurassic Park

Wer eine Nacherzählung von Steven Spielbergs Blockbuster aus dem Jahr 1993 erwartet, ist auf einer falschen Fährte.

Kleine Schnipsel aus dem Filmplot streut Jutta Wachowiak in ihren Solo-Abend zwar ein, den sie mit Eberhard Petschina und Rafael Sanchez entwickelte. So referiert sie z.B. über den Schauspieler John Hammond, der die menschliche Hauptrolle zwischen all den Raptoren und dem Tyrannosaurus Rex, unterbricht sich aber selbst mit einem süffisanten „Aber das wissen Sie ja alles. Sie haben schließlich vorbereitet.“

Mindestens so wichtig für den nur 75 Minuten kurzen Abend sind jedoch zwei andere Quellen: Stefan Heyms Rede bei der Großkundgebung am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz, als er darüber jubelte, dass endlich ein „Fenster aufgestoßen“ worden sei. In seinem Optimismus hoffte er auf einen Dritten Weg, der Schluss mache mit dem Mief und den Phrasen der Parteibürokratie.

Der zweite zentrale Text ist Schillers Drama „Maria Stuart“. Die Titelrolle in der Inszenierung von Thomas Langhoff gehörte zu den berühmtesten Auftritten von Jutta Wachowiak während ihrer Glanzzeit am Deutschen Theater Berlin. Von ihrer Cousine wurde sie schon zu DDR-Zeiten auf die Sätze angesprochen: „Laß mich der neuen Freiheit genießen, Laß mich ein Kind sein, sei es mit! Und auf dem grünen Teppich der Wiesen  prüfen den leichten, geflügelten Schritt. Bin ich dem finstern Gefängnis entstiegen…“ Diese Sätze aus der Weimarer Klassik bargen offensichtlich einen ungeheuren Sprengstoff für das SED-Regime, das die ganze Republik mit einem Spitzelnetz überzog und die Grenzen mit Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl sicherte.

Jutta Wachowiak erzählt Jurassic Park Ein Theaterabend von Jutta Wachowiak, Eberhard Petschinka und Rafael Sanchez Regie: Rafael Sanchez Bühne / Kostüme: Anne Ehrlich Text und Musik: Eberhard Petschinka Dramaturgie: Juliane Koepp Auf dem Bild: Jutta Wachowiak Copyright Arno Declair   

Als sie ein Jahrzehnt später immer noch mit dieser Paraderolle auf der Bühne stand, war die Mauer gefallen, die erste Euphorie aber bereits verflogen. Bei den Schiller-Sätzen hatte sie ein sehr beklommenes Gefühl, erinnert sich Jutta Wachowiak in ihrem „Jurassic Park“-Solo. Sie fühlte sich fremd im eigenen Land. Ihr Renommee schwand schnell, viele Pfeile und den Vorwurf zog sie auf sich, zu lange mitgemacht zu haben. Am eigenen Haus war sie zwar unkündbar, wurde aber mehr und mehr ins Abseits gedrängt und seltener besetzt.

Sie flüchtete sich oft nachmittags ins Kino, erinnert sich an die Replikanten in „Blade Runner“ und sah wohl damals auch den Spielberg-Blockbuster, auf den ihr Solo-Abend anspielt. 2005 ging sie im Zorn nach Essen, wollte kurz vor dem Ruhestandsalter neu anfangen und mit damals unbekannten, jungen Regisseuren wie Rafael Sanchez zusammenarbeiten, der mit ihr auch diesen autobiographischen Abend realisierte. Erst Jahre später kam sie auch ans Deutsche Theater Berlin zurück, war hin und wieder in einigen Rollen zu sehen und bekam vor einem Jahr die Gelegenheit, in einem autobiographischen Solo-Abend Bilanz zu ziehen.

„Jutta Wachowiak erzählt Jurassic Park“ hatte im Oktober 2018  in der Box, der kleinsten Spielstätte des Deutschen Theaters Berlin, Premiere und steht in diesem Mauerfall-Jubiläums-Herbst mehrfach auf dem Spielplan. Ausgehend von der Rolle eine Putzfrau, die allein im Saurier-Park zurückgelassen wurde, erinnert sich Wachowiak an Stationen ihres Lebens: an die letzten Kriegsjahre in Polen und Berlin, die sie als kleines Mädchen erlebte, an erste Film-Engagements, frühe Triumphe am Theater, schmerzhafte Niederlagen und ihr Gefühl, dass sie wie „Iphigenie“ auf einer einsamen Insel gestrandet sei, das sie 2003 in einem anderen Theater-Abend verarbeitete.

Keineswegs larmoyant, sondern für ihre 78 Jahre erstaunlich energiegeladen legt Jutta Wachowiak ein Solo hin, das vor allem für Zeitzeugen interessant ist, die miterlebt haben, worüber sie sprach. Für ein jüngeres Publikum ist es schwieriger, ihre Erinnerungen in den jeweiligen Kontext einzuordnen.

Bilder: Arno Declair

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