Ganz entspannt schlendern sie mit Camping-Klappstühlen auf die leergeeräumte Studiobühne. In ersten Slapstick-Spielereien rempeln sie sich gegenseitig an. Bald nimmt Florian Anderer das Heft des Handelns in die Hand: er setzt zu einem Monolog an, verheddert sich in seinem Klappstuhl und legt sein virtuoses Kabinettstückchen über das Anfangen so gekonnt hin, wie wir das aus zahlreichen Auftritten von ihm gewohnt sind. Seine Mitstreiter*innen Iris Becher, Ruth Rosenfeld, der wie üblich mitspielende Regisseur Patrick Wengenroth und sein Stamm-Musiker Matze Kloppe haben ihre Stühle mittlerweile umgedreht, kehren dem Publikum den Rücken zu und schauen ihrem Kollegen ebenfalls amüsiert zu.
Ein echtes Fritsch-Intro im Studio der Studiobühne! Wir erleben allerdings nicht das Original, sondern nach „Prometheus“ innerhalb weniger Wochen schon die zweite Kopie. Erschwerend kommt hinzu: Mit „Null“ hat Herbert Fritsch im Frühjahr 2018 ein paar Meter weiter eine sehr facettenreiche, schillernde Nummernrevue über das Anfangen und Scheitern hingelegt, so dass dieser Auftakt erst recht epigonal und wie eine Kopie-Fingerübung wirkt.
Der etwas mehr als zweistündige Abend lässt Meister Fritsch dann auch sehr schnell links liegen und widmet sich nun einem weiteren Säulenheiligen aus alten Castorf-Volksbühnen-Zeiten. Sie nehmen sich „Vita activa“, die deutsche Übersetzung von Hannah Arendts Hauptwerk „The Human Condition“, vor und schleudern sich die Diskurs-Schnipsel gegenseitig an den Kopf. Aberwitzige, temporeiche Dialoge, große Augen, viele „Hä“s: das bewährte Pollesch-Rezept wird kopiert.
Der Charme, der Patrick Wengenroths bisherige Arbeiten auszeichnete, die sich in „Thisisitgirl„, „Love hurts in Tinder times“ oder „He? She? Me! Free“ ironisch und unterhaltsam mit Genderfragen auseinandersetzte, fehlt diesmal über weite Strecken.
Zwischen den Kopien der Regie-Größen und Interview-Reenactments der politischen Theoretikerin bleibt wenig Raum für das Authentische und Überraschende. Zum Glück blitzt das zwischendurch doch manchmal auf. Prompt gibt es Szenen-Applaus für Ruth Rosenfeld und ihr „I´ll be your mirror“ von Nico oder für das narzisstische Deutsch-Pop-Solo, mit dem Florian Anderer sein Spiegelbild mit laszivem Hüftkreisen anschmachtet.
Ebenfalls erst in der zweiten Hälfte schlüpfen sie in Hochleistungssportler-Trikots, die mit Sponsoren-Logos beklebt scheinen, die sich auf den zweiten Blick als Schlüsselbegriffe aus Arendts Werk herausstellen.
Der Abend plätschert langsam aus, als sich Patrick Wengenroth in seiner Verzweiflung über die von Arendt schon in den 1950er Jahren gegeißelte Konsumgesellschaft, die weit von ihrem Ideal einer deliberativen Demokratie wie auf der Agora von Athen entfernt ist, theatralisch zu Boden sinken lässt und Matze Kloppe über der Frage reesigniert, wie der Abend ein besseres Ende bekommen könnte.
„The Human Condition“ umkreist das Werk einer wichtigen, vor den Nazis in die USA geflohenen politischen Denkerin, nimmt dabei einige unterhaltsame Abzweigungen, kommt aber oft nicht richtig vom Fleck.
Bilder: Gianmarco Bresadola