Die Bakchen

Spötter könnten es sich einfach machen und „Die Bakchen“, mit denen Martin Kušej vor wenigen Wochen seine Burgtheater-Intendanz eröffnete, als serielle Fließbandarbeit von Ulrich Rasche abtun. Wieder einmal baute er eine dieser überdimensionalen Maschinen-Walzen, die ihn zum Schrecken vieler Bühnentechniker*innen machen und die Organisator*innen des Theatertreffens bei der Suche nach einer passenden Gastspielstätte kapitulieren ließen. Wieder einmal rekrutierte Rasche junge, gut trainierte Studenten der örtlichen Schauspielschule, die er halbnackt mehr als drei Stunden in enormer Dezibel-Lautstärke brüllen und marschieren lässt.

Damit würde man diesem Abend nicht gerecht. Rasche hat sich nicht einfach einen archaischen Text geschnappt und ihm seine Regie-Methode übergestülpt, sondern aus der antiken „Bakchen“-Tragödie des Euripides einen Abend gemacht, der auch an unsere Gegenwart drängende Fragen stellt.

Den Machtkampf zwischen Gott Dionysos und dem Herrscher Pentheus liest Rasche nicht primär als Kampf zwischen Rausch und Vernunft, sondern ganz aktuell als Auseinandersetzung zwischen populistisch aufgepeitschten Massen und einem starken Staat, der die herrschende Ordnung verteidigen will.

Als Euripides seine „Bakchen“-Tragödie schrieb, war die attische Demokratie in der Krise und das kurze „Goldene Zeitalter“ vorbei. Rasche schlägt den Bogen ins heute zu einer Demokratie unter Druck und lässt seinen Chor mit einem berühmten Schlachtruf von Gauland und Höcke marschieren: „Wir holen uns unser Land zurück!“, skandieren die jungen Männer und wenigen Frauen. Bedrohlich wälzt sich der Mob dem Publikum entgegen: einer der eindrucksvollsten Momente des Abends.

Rasches Sympathie liegt ganz bei Pentheus, der mit harter Hand durchgreift. Mit seinen Polizeistaatsmethoden ist er jedoch alles andere als ein Vorbild für eine weltoffene, liberale Demokratie.

DIE BAKCHEN von Euripides Franz Pätzold

In den beiden Hauptrollen stehen sich Franz Pätzold als Dionysos und Felix Rech als Pentheus gegenüber. Pätzold ist Rasche-erprobt und mit seiner markanten, rauen Stimme eine Idealbesetzung für seine Maschinen-Sprechopern. Sein Wechsel ans Burgtheater ist ein Verlust für München und ein Gewinn für Wien. Felix Rech durfte nach zwei Spielzeiten am Berliner Ensemble, wo er nur ein Schattendasein fristen durfte, endlich wieder einen großen Part übernehmen. In den Rededuellen und bei den Soli der beiden kommt der laut- und bildstarke Abend zur Ruhe. Bei seinem Wien-Debüt gönnt Rasche seinem Publikum viele stillere Momente zum Durchatmen.

DIE BAKCHEN von Euripides (von links nach rechts) Martin Schwab, Hans Dieter Knebel, dahinter: Felix Rech

In einer Szene wird Rasches Regiestil ironisch auf die Schippe genommen: Martin Schwab, einer der Burgtheater-Heroen seit Peymanns Zeiten, erscheint als Ex-Herrscher Kadmos, einer der Überläufer zum Dionysos-Kult, auf der Bühne, wird wie alle anderen mit Gurten und Seilen auf der abschüssigen Spielfläche gesichert und beginnt zu lamentieren: Wie soll ich nun tanzen? Wie muss ich nun die Beine heben?

Nach dem Zerfleischen des Pentheus durch den Chor der Bakchen endet der Abend mit einem etwas zu langen Solo der Agaue. Nach den ersten Vorstellungen hat Sylvie Rohrer diese Rolle planmäßig von Katja Bürkle übernommen und spielt die Mutter, der zu spät bewusst wird, dass es sich bei der Trophäe, die sie in Händen hält, nicht um eine Löwenmähne, sondern den Kopf ihres Sohnes handelt, den sie ihm im Rausch gemeinsam mit den anderen Dionysos-Anhänger*innen abgerissen hat.

Bilder: Andreas Pohlmann

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