Hass-Triptychon – Wege aus der Krise

Dieser Abend ist ein Überraschungsei, das in knapp zwei Stunden für fast jeden Geschmack etwas bietet. Regisseur Ersan Mondtag baute eines seiner bewährten Gothic-Bühnenbilder, setzte klapprige Skelette mitten unter das Publikum und hielt sich ansonsten angenehm zurück, sorgte nur dafür, dass die so unterschiedlichen Einzelteile des Abends nicht auseinanderfliegen.

Zunächst ist hier der Text von Sibylle Berg zu nennen: ein Gesellschaftspanorama über Mittelschichtsneurosen. Beim „Hass-Triptychon“ erleben wir zwar keine Berg in Bestform. Das Auftragswerk für die Koproduktion der Wiener Festwochen und des Berliner Gorki Theaters musste die vielbeschäftigte Autorin wohl irgendwie zwischen ihren regelmäßigen Kolumnen und ihren Bestsellern wie „GRM – Brainfuck“ unterbringen, für d ensie gerade mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet wurde. Dem „Hass-Triptychon“ fehlen die ätzende Schärfe und der Biss ihrer besten Texte, aber vor allem in den ersten beiden Teilen ist es eine treffendes Porträt einer müden Mittelschicht, die am Wochenende wenig mit sich anzufangen weiß, bevor sie am Montag wieder in die Tretmühle ihrer Jobs zurückkehrt.

Ein gut gecastetes, buntes Ensemble aus Mondtag-Stammkräften wie Jonas Grundner-Culemann und dem Kölner Gast Bruno Cathomas sowie den Gorki-Charakterköpfen Aram Tafreshian, Çiğdem Teke und Abak Safaei-Rad spielt die Vorlage als amüsantes Typenkabarett. Sie wurden von Theresa Vergho als Alien-artige Trolle mit abstehenden Ohren ausstaffiert und klagen uns ihr Leid.

Unerwartet in dieser Mixtur sind die Musical-Songs, die Beni Brachtel für das „Hass-Triptychon“ komponierte. Sie bringen eine ironische Leichtigkeit in den Abend, der von so viel Depression, Lethargie und Selbsthass erzählt, und bilden einen spannenden Kontrast zu den wütenden, stampfenden Chören junger Frauen, von denen Sebastian Nübling am Gorki bereits mehrfach Sibylle Berg-Texte performen ließ.

Mal werden diese Songs vom ganzen Ensemble vorgetragen, mal schmettert sie nur die große Dramaqueen des Abends: Benny Clasessens zieht als „Hassmaster“ die Fäden, brüllt sich theatralisch nach Intendantin Shermin (Langhoff) die Seele aus dem Leib, dass er kündige und dies alles nicht mehr aushalte und improvisiert sich durch den Abend. Als er Oliver Reese, den Intendanten des Berliner Ensembles, im Publikum entdeckt, tut er kurz so, als möchte er im via Social Media ausgetragenen Streit um die Absage der „Pussy – Ode an die Männlichkeit“ noch mal nachlegen, wendet sich aber doch lieber tt-Juror Franz Wille zu und plaudert anekdotenreich über reale oder doch nur gut erfundene (?) Publikumsreaktionen während der Wiener Festwochen im Sommer.

Im letzten Drittel droht dem Abend etwas die Luft auszugehen. Er zerfasert zu sehr und lässt sich in all seiner Vielfalt nicht mehr richtig zusammenbinden. Nach zwei unterhaltsamen Stunden zieht Ersan Mondtag die Notbremse, bevor die Wundertüte noch implodiert, und kommt mit der eigens aus Zürich angereisten Autorin auf die Gorki-Bühne, die sich erst mal bei der Diva Benny Claessens ganz standesgemäß mit Küsschen für diesen ungewöhnlichen Abend bedankt.

Bild: Esra Rotthoff

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