Frauen der Unterwelt

Auf dem Friedhof der Freireligiösen Gemeinde beginnt dieser Theaterabend. Dort liegt die Frauenrechtlerin und Sozialdemokratin Agnes Wabnitz begraben, die unter Bismarcks berüchtigten Sozialistengesetzen litt und als sie in Hungerstreik trat, nicht nur zwangsernährt, sondern in eine „Irrenanstalt“ gesteckt wurde und entmündigt werden sollte. Sie nahm sich deshalb das Leben.

In der Dunkelheit wird das Publikum über den Friedhof und als Prozession über den Seiteneingang ins Ballhaus Ost geführt, eine Off-Theater-Bühne im Bezirk Prenzlauer Berg. Der sakrale Eindruck des Dokumentartheater-Abends verstärkt sich noch, da in aller Stille zunächst sieben Kerzen angezündet werden.

Sie stehen stellvertretend für die „sieben hysterischen Akte“, die sieben Einzelschicksale von Frauen, die nicht in die Normen ihrer Zeit passten und von den Nazis in der Psychiatrie Pirna-Sonnenstein vergast wurden.

Die sieben Performer*innen aus diesem weiblich-queeren Kollektiv stellen nacheinander je eine Frau vor: meist schlüpfen sie direkt in die historische Rolle, einer verkörpert den Zwillingsbruder eines Opfers. In längeren Monologen führen sie in die Lebensumstände und Biographien ein, die von der prekären Sexarbeiterin bis zur erfolgreichen Unternehmerin ein breites Spektrum abbilden.

Es ist ein Abend der leisen Töne, oft fast spröde, mit kurzen Dialogen, nur selten gibt es spielerische Farbtupfer wie das Tanz-Solo von Lara Anaïs Martínez-Wiesselmann.- Die stillen Momente werden immer wieder von kurzen, heftigen Wutausbrüchen, von Anklagen der Opfer durchbrochen, bevor Tine Rahel Völkers Dokumentartheater-Abend wieder zum Grundton eines stillen Requiems zurückkehrt.

Bilder: Dorothea Tuch

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