Jugend ohne Gott

Sie adaptieren zwar dieselbe Roman-Vorlage, könnten aber kaum weiter von einander entfernt sein: Während Thomas Ostermeier den Roman von Ödon von Horváth an der Schaubühne sehr werktreu, mit handwerklicher Präzision und klassischer Eleganz, aber auch recht langweilig umsetzte, ging Nurkan Erpulat als Hausregisseur am Gorki Theater ganz anders vor und machte daraus zum Abschluss der vergangenen Spielzeit einen temporeichen Abend, der nur einige Motive sampelt, sich allerdings auch in Beliebigkeit verliert.

Die Schweizer Autorin Tina Müller, bekannt z.B. als Co-Autorin der sehr pointierten Stückentwicklung „Children of Tomorrow“, nahm sich den Horváth-Roman vor und überschrieb ihn. Ihre zentrale Idee ist die Perspektiv-Verschiebung: bei Horváth steht der Lehrer als namenloser Ich-Erzähler im Mittelpunkt. Seine inneren Monologe und sein Gewissenskonflikt, ob er im heraufziehenden faschistischen Regime mitschwimmen oder Widerstand leisten und seine sichere Beamten-Stellung riskieren soll, prägten auch den Auftritt von Jörg Hartmann an der Schaubühne, der den Lehrer mit Augenringen und Sorgenfalten verkörperte.

Die Gorki-Fassung ist ganz auf die Schüler zugeschnitten: durch die Pubertät ohnehin verunsichert, finden sie keinen Halt mehr. Ihnen fehlen Normen und Vorbilder, die Eltern-Generation hat ihnen keinerlei Wert-Maßstäbe vermittelt. Soweit ist Müller nah an der Horváth-Vorlage. Die Kriminal-Geschichte der Mord-Ermittlungen spielt bei ihr aber nur eine untergeordnete Rolle. Sie wählte einzelne Motive des Romans aus, die sie in neuer Reihenfolge anordnet und mit Buzzwords aus aktuellen Debatten wie Klimakrise, Afghanistan-Einsatz oder Anschlag auf Flüchtlings-Wohnheime anreichert.

Von der Orientierungslosigkeit dieser Jugendlichen erzählen Regisseur Erpulat und seine Choreographin Modjgan Hashemian, indem sie ihre Spieler*innen knapp zwei Stunden lang zwischen Monologen und Spielszenen immer wieder atemlos kreuz und quer durch die Halfpipe rennen lassen. Ihre „Jugend ohne Gott“-Inszenierung ist hochenergetisch und zeichnet das Bild einer völlig entwurzelten Generation.

Darüber hinaus bleibt der Abend aber recht beliebig und hat wenig zu erzählen. Die Erwachsenen sind programmatisch völlig an den Rand gedrängt. Der Lehrer (Denis Geyersbach) folgt ihnen wie ein Voyeur mit der Video-Kamera, spricht aber erst ganz zum Schluss seine ersten Worte und holt mehr pflichtschuldig noch einige Roman-Motive nach.

Im Mittelpunkt des Abends stehen die jungen Spieler*innen, viele aus dem aktuellen Abschluss-Jahrgang der HfS Ernst Busch, die zur neuen Spielzeit gleich in den Ensembles großer Häuser anfingen wie Theo Trebs an der Volksbühne oder Felix Kammerer am Burgtheater.

Bild: Esra Rotthoff

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