Katzelmacher

Eine graue Betonwand hat Nehle Balkhausen auf die Bühne des Berliner Ensembles gewuchtet: ein typisches Setting für eine Inszenierung von Michael Thalheimer. Nur eine kleiner Guckkasten bleibt den Figuren in dieser lebensfeindlichen Umgebung.

Ungewöhnlich für Thalheimer ist aber diesmal die Musik: Sein langjähriger Weggefährte Bert Wrede hat statt des üblichen Crescendo und der grollenden, donnernden Klänge gefällige Schlager-Musik ausgesucht, die Eva Meckbach, bis vor kurzem im Ensemble der Berliner Schaubühne, live vorträgt.

Sie spielt die Ingrid in Rainer Werner Fassbinders Erstlingsstück „Katzelmacher“, das 1968 auf seiner Schwabinger Antitheater-Kellerbühne uraufgeführt und ein Jahr später mit Hanna Schygulla verfilmt wurde.

Ihre fröhlichen, eskapistischen Gute-Laune-Songs stehen in scharfem Kontrast zum unterkühlt-schroffen Bühnenbild, zur nackten Gewalt, mit der die Männer auf den „Gastarbeiter“ Jorge (Peter Moltzen) einprügeln, und zur Gehässigkeit, mit der die Dorfbewohner übereinanderherfallen.

BERLINER ENSEMBLE „Katzelmacher“ von Rainer Werner Fassbinder, Regie: Michael Thalheimer, Bühne/Kostüme: Nehle Balkhausen, Musik: Bert Wrede, Dramaturgie: Bernd Stegemann

Die Schlager-Liedchen, die Thalheimer diesmal trällern lässt und in die auch andere Spielerinnen einstimmen, dienen aber nicht nur dazu, einen Kontrast zur Gewalt zu markieren, sondern unterstreichen auch die These des Dramaturgen Bernd Stegemann, der im Programmheft mit Adorno und Bourdieu in der Diktion der 60er Jahre über die innere Leere der „kleinen Leute“ nachdenkt, die nach entfremdeter Industriearbeit in ihrer Freizeit nach kitschigen „Gefühlsverstärkern“ suchen und mit den normierten Produkten der „Kulturindustrie“ ihre Verzweiflung überdecken.

Fassbinder beschrieb im „Katzelmacher“ eine engstirnige und rassistische Dorfgemeinschaft, die unter Tristesse und Langeweile der Provinz leidet. Auf den Neuankömmling projizieren die Männer ihre Minderwertigkeits-Komplexe und verschanzen sich hinter einer Abwehrhaltung. Für die Frauen im Ort ist Jorge die Projektionsfläche unerfüllter erotischer Sehnsüchte und Lieblingsthema für Klatsch und Tratsch.

In straffen 90 Minuten serviert Thalheimer dieses leider auch fünf Jahrzehnte später sehr aktuell wirkende Drama über rassistische Gewalt als solides, wenn auch zu verqualmtes Kammerspiel, das aus aktuellem Anlass mit einer Schweigeminute für die Opfer von Hanau endet und ein Lichtblick in einer bisher recht glanzlosen Spielzeit des Berliner Ensembles ist, die vor allem vom Scheitern des Autorenprogramms überdeckt ist. Nach all den Querelen am Haus, die Nachtkritik in einer großen Recherche beschrieb, kann BE-Intendant Oliver Reese konstatieren: immerhin auf Michael Thalheimer ist Verlass.

Bilder: Matthias Horn

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