First Cow

Als Anti-Western könnte man „First Cow“ beschreiben. Der Film ist in der mythisch überhöhten Welt des „Wilden Westens“ des 19. Jahrhunderts angesiedelt und spielt wie die meisten Filme von Kelly Reichardt in Oregon. Von der Macho-Welt eines John Wayne könnte ihr Film jedoch kaum weiter entfernt sein.

In ihrem typischen minimalistisch-sperrigen Erzählstil bricht sie mit allen Konventionen und Erwartungen des Western-Genres und bringt den Erzählfluss in quälender Langsamkeit während der ersten Stunde fast komplett zum Erliegen.

Nach dieser sehr zähen Exposition, bei der schon ein beträchtlicher Teil des Publikums der Pressevorführung auf der Strecke blieb, entwickelt sich eine skurrile kleine Geschichte über zwei Außenseiter, die ihren „American Dream“ verfolgen. Der zögerliche Koch Cookie (John Magaro) und der zupackendere King-Lu (Orion Lu) haben ein Geschäftsmodell entdeckt: Die Arbeiter und Soldaten an der „frontier“ gieren nach dem Gebäck, das die beiden Outlaws anbieten. Ihr frühkapitalistischer Durchbruch am Markt ist aber nur möglich, weil sie es mit dem Eigentumsbegriff nicht so genau nehmen. Sie brechen jede Nacht auf die Farm des ziemlich beschränkten örtlichen Anführers der Siedler (Toby Jones) ein und melken die erste Kuh dieser Gegend, die dem Film den Titel gab.

Als sie schließlich auffliegen und erneut zwischen allen Stühlen auf der Flucht sind, wird das letzte Drittel von „First Cow“ zur Ode an die Freundschaft der beiden Männer. Hier schließt sich der Kreis: Ihre verwitterten Skelette findet eine Spaziergängerin mit ihrem Hund in der ersten Sequenz, die als einzige in der Gegenwart spielt.

Die Romanvorlage „The Half-Life“ von Jonathan Raymond, mit dem Reichardt bereits bei mehreren Filmen zusammengearbeitet hat, verfolgt auch diesen Gegenwarts-Strang weiter, der Film konzentriert sich jedoch ganz auf die Vergangenheit.

„First Row“ kann man zugute halten, dass er den Versuch unternimmt, mit einigen Topoi der amerikanischen Kulturgeschichte zu spielen. Dabei kommt jedoch nur ein leidlich interessanter Autorenfilm heraus.

Warum Carlo Chatrian „First Cow“ nach der Premiere auf dem Telluride Festival, einer wichtigen Plattform des US-amerikanischen Indie-Kinos, auch noch als Zweitverwertungs-Aufguss in den Wettbewerb um den Goldenen Bären eingeladen hat, bleibt sein Geheimnis.

„First Cow“ ist sicher nicht der beste Film von Kelly Reichardt: mit „Night Moves“ gelang ihr 2013 ein überraschender, wesentlich überzeugenderer Öko-Polit-Thriller, über den ich hier geschrieben habe.

Bild der beiden Hauptdarsteller Orion Lee und John Magaro: © Allyson Riggs/A24

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