Favolacce

Die Vorort-Siedlung liegt bereits in Trümmern, als die sonore Erzähler-Stimme einsetzt. Er habe das Tagebuch eines Mädchens gefunden und wolle uns nun an den Berichten teilhaben lassen.

In collageartig aneinandergereihten Schnipseln entsteht ein groteskes Panorama eines italienischen Sommers: Die Erwachsenen sind angeödet von ihren drögen Jobs und der provinziellen Enge ihrer Vorort-Siedlungen. Die Kinder sollen es einmal besser haben. Stolz geben die Eltern von Dennis und Alessia beim Abendessen damit an, dass sie im Abschluss-Zeugnis in allen Fächern eine 1+ haben. Einziger Makel: im Betragen hat Alessia nur eine glatte 1, nicht die Bestnote. Wie Zirkuspferde werden sie vorgeführt.

Mit erholsamen Sommerferien wird es für die Kinder aber trotzdem nichts: die Eltern können sich keinen Urlaub leisten, stattdessen kommt die gesamte Nachbarschaft in ihren Garten, wo ein billiger Plastik-Pool aufgestellt wird. Die Erwachsenen haben sowieso nur Sex im Kopf: Bruno wird von einer schwangeren, großbusigen Nachbarin verführt, sein Klassenkamerad soll mit einem Mädchen Sex haben, da das der sicherste Weg sei, dass sie auch die Masern bekomme: Masern-Party 2.0 auf italienisch.

Nachvollziehbar, dass die Jugendlichen in dieser Welt nicht leben wollen. Als Schulprojekt getarnt basteln sie an einer Bombe, die das gesamte Viertel und die sex- und selbstsüchtigen Erwachsenen in Schutt und Asche legen soll.

Die Brüder Fabio und Damiano D´Innocenzo zeigen in kurzen, grotesken Vignetten das Panorama einer abstoßenden Vorstadt-Hölle, betont lakonisch kommentiert von einem distanzierten Erzähler.

„Favolacce“ ist ihr zweiter Film nach dem Debüt „La terra dell´abbastanza“, das ebenfalls im Speckgürtel von Rom spielt, allerdings von der Welt der Mafia-Clans statt grotesker Kleinbürger erzählt. Dieser Erstling lief 2018 im Panorama der Berlinale, wo auch ihr neues Werk besser aufgehoben wäre als im Wettbewerb um die Bären. Die Jury konnte dem Werk dennoch einiges abgewinnen und verlieh den beiden Brüdern einen Silbernen Bären für das Beste Drehbuch.

Bild der beiden Kinder mit ihren Zeugnissen: © Pepito Produzioni, Amka Film Production

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