DAU. Natasha

Monatelang kämpfte Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, im Jahr 2018 darum, das „DAU“-Projekt von Ilya Khrzhanovskiy aus Moskau nach Berlin zu holen. Für mehrere Tage sollte ein ganzer Straßenzug im Zentrum abgesperrt und nur mit Visa zu betreten sein. Der Plan war, dass das westliche Publikum in einem immersiven Erlebnis zumindest einen kleine Ahnung davon bekommen sollte, was es bedeutet, in einem totalitären Regime zu leben.

Das „DAU“-Projekt scheiterte an der Berliner Bürokratie, einige Monate später war es in Paris eingeladen, wurde jedoch mit negativen bis mäßigen Kritiken aufgenommen. Im Winter 2020 kann man sich nun auch in Berlin zumindest von einem Teil des umfangreichen Filmmaterials, das zu diesem Multimedia-Installations-Projekt gehört, ein eigenes Bild machen.

Als Berlinale Special ist der 355 Minuten-Brocken „DAU. Degeneratsia“ zu sehen, der knapp zweistündige Ausschnitt „DAU. Natasha“ wurde sogar in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen. Dieser Film beginnt als Porträt der Kantinenfrau Natasha in einem sicherheitsrelevanten Forschungsinstitut zur Sowjet-Zeit: sie flirtet mit den Männern, streitet mit ihrer jüngeren und attraktiveren Kollegin Olya, säuft literweise Wodka und qualmt wie ein Schlot. Besonders hat es ihr der französische Gast-Wissenschaftler Luc angetan, mit dem sie eine Affäre beginnt.

In verwaschenen Bildern von Fassbinder-Veteran Jürgen Jürges, der einen Silbernen Bären für die Beste Kamera gewann, und mit expliziten Sex-Szenen schleppen sich die ersten beiden Stunden dahin, bevor der Film zum Reenactment eines brutalen KGB-Verhörs mutiert, bei dem Khrzhanovskiy und seine Co-Regisseurin Jekaterina Oertel kein grausames Detail sexueller Demütigung und Folter auslassen, bevor der Film klischeehaft-platt mit der Stockholm-Syndrom-Liebeserklärung des Opfers an ihren Peiniger endet.

Die Zweifel, was dieser Film im Berlinale-Wettbewerb zu suchen hat, wurden nach Recherchen der taz noch drängender: Frauen werfen dem Regisseur Machtmissbrauch und Manipulation vor: „Mir ging es um die Arbeit, aber darüber wollte Ilja nicht sprechen. Sondern über Persönliches, über sexuelle Vorlieben zum Beispiel. Ob man einen Freund hat, welche Orientierung, mit wie vielen Männern oder Frauen man geschlafen hat. Wenn man sich dagegen sträubte, hieß es: Du öffnest dich nicht dem Projekt gegenüber. Das gab einem ein beklemmendes Gefühl, es ist schwer zu beschreiben.“

Auf dem abgeschotteten Set, auf dem Stalin-Ära sehr originalgetreu nachgestellt wurde und das Team von der Außenwelt abgeschottet war, habe eine fast sektenhafte Atmosphäre geherrscht, berichtet die taz: „Wir steckten da alle zusammen drin. Wie in einer Sekte. Da gab es ein Oberhaupt, das alles machen konnte. Und niemand hat was gesagt, inklusive meiner.“

Berlinale-Chef Carlo Chatrian wird in den kommenden Tagen einige Fragen zu beantworten haben. Auf der Pressekonferenz ließ der Regisseur Khrzhanovskiy unangenehme Fragen in einem bizarren Auftritt an sich abprallen, wie rbb24 berichtete.

Bild: Phenomen Film

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