The West

Fast drei Stunden setzt Constanza Macras das Volksbühnen-Publikum in ihrer neuen Arbeit „The West“ unter assoziativen Dauerbeschuss. Sie bezeichnet diese Inszenierung, die Kabarett, Slapstick, Parodie, Musikvideo-Imitation, TV-Ausschnitte, Quizshow-Elemente und längere Lecture Performance-Versatzstücke sampelt, durch den Reißwolf dreht und neu zusammensetzt, als „performative Studie“ über fiktionale Welten, die sich kulturimperialistisch in unsere Köpfe eingebrannt haben.

Welche Bilder haben wir vom Westen? Wie sind sie entstanden? Das sind die Leitfragen des Abends, denen Macras auf vielen Nebenpfaden und mit manchen überraschenden Abzweigungen folgt. So erklärt Bastian Trost, der seine künstlerische Heimat beim Gob Squad-Kollektiv hat, als wandelnde Super-Nerd-Quizshow-Parodie, wie ein Popsong quer durch die Kulturen wanderte und sich „von weiß zu schwarz und wieder zurück zu weiß“ in unterschiedlichen Hybrid-Formen wandelte oder auf welche Art die Musik der spanischen Renaissance als „Soundtrack auf den Schiffen von Christoph Kolumbus“ die Kolonien beeinflusst hat und bis heute nachwirkt.

Doch bevor es so komplex wird, holt Macras ihre Zuschauer*innen ganz zu Beginn bei den ikonischen Bildern und Klängen ab, die einem zuerst einfallen, wenn man an den Westen und vor allem den sogenannten Wilden Westen denkt: zu Ennio Morricones „Spiel mir das Lied vom Tod“ choreographiert sie eine klassische Standoff-Szene ihrer Cowboys.

Der Abend tänzelt vom Twerking, einem Hiphop-Stil, der sich bei traditionellen afrikanischen Ritualen bedient, über die Latino-Telenovelas und Wonder Woman bis zu den Zombie-Mythen. Zum großen Finale fallen die Spieler*innen mit weit aufgerissenen Augen übereinander her. Die Anspielungen auf Pop-, TV- und Netzkultur, Stereotype und Mythen sind so zahlreich, dass man sicher auch nach mehrmaligen Aufführungen noch Neues entdecken und entschlüsseln kann.

„The West“ demonstriert die Stärken und Schwächen der Inszenierungen von Constanza Macras:

Das Risiko ist, dass sie oft in Gefahr gerät, sich in ihrem Einfallsreichtum zu sehr zu verzetteln. Auch diesmal hängt der lange Abend in der zweiten Hälfte immer wieder durch. Die Verbindung zwischen theoretischem Material, Fremdtexten wie der Novelle „The Heart of Redness“ von dem südafrikanischen Autor Zakes Mda über die Kolonisierung der Xhosa und den Tanz-Choreographien ist im zweiten Teil weniger reibungslos. Der Abend drohte auszufransen und von zu viel Material erdrückt zu werden. Nach der Pause stand Constanza Macras in einigen Szenen auch selbst mit auf der Bühne und sprang für Fernanda Farah ein, die gesundheitliche Probleme hatte.

An „The West“ wurde aber auch die große Stärke von Macras deutlich: zum Auftakt der zweiten Hälfte dieser Volksbühnen-Spielzeit war am Rosa-Luxemburg-Platz endlich wieder ein Abend mit dem nötigen Drive und der notwendigen Energie zu erleben, die es braucht, um diese herausfordernde Bühnen-Architektur zu bespielen. Die Tanz-Performances von Macras haben diese Power definitiv. Deshalb ist es eine gute Nachricht, dass ihr René Pollesch das Angebot gemacht, ab Sommer 2021 Hausregisseurin zu werden.

Bilder: Thomas Aurin

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