Tanz

Ihr eilt ein Ruf als Radikalperformerin voraus. Damit kokettiert Florentina Holzinger auch, als sie sich nackt vor dem Publikum aufbaut und zu einer kulturwissenschaftlichen, feministischen Lecture Performance ansetzt.

Etwa die Hälfte ihrer Performance „Tanz – eine sylphidische Träumerei in Stunts“ ist bereits vorbei, als sie das bis dahin Gesehene zusammenfasst: Die fast 80jährige Beatrice Cordua, die in Hamburg bei John Neumeier Ballett-Geschichte geschrieben hat, gibt die strenge Zuchtmeisterin. Sie zwingt die jungen Elevinnen an die Barren, korrigiert ihre Bewegungen und fordert sie auf, nach und nach ihre Kleidung abzulegen.

Vom Drill und der Zurichtung der weiblichen Körper im Namen der Kunst erzählt der Abend: die mittlerweile komplett nackten Tänzerinnen müssen ihre Körper nicht nur zu immer grazileren Verrenkungen zwingen, sondern werden am Ende des ersten Aktes von ihrer Einpeitscherin in einem bitterbösen #metoo-Kommentar von allen Seiten begutachtet. Sabbernd fordert Cordua die Jahrzehnte jüngeren, durchtrainierten Frauen auf, die Beine zu spritzen und ihre Vagina zur Inspektion zu präsentieren. Was als radikale, feministische Kritik an Übergriffen im Kunstbetrieb gedacht ist, gerät allerdings derart drastisch-explizit, dass es von einigen Zuschauer*innen auch voyeuristisch-pornographisch konsumiert werden kann.

Im zweiten und dritten Akt wird die „Tanz“-Performance immer surrealer: Hexen und Zombies bevölkern die Szenerie. Anspielungen auf Splatter-Filme, Tarantino und vor allem den Giallo-Klassiker „Suspiria“ von Dario Argento mischen sich mit Bachs „Komm süßer, Tod“-Sehnsucht.

Bilder und Szenen verschwimmen zu einem wilden Mash-up voller Kunstblut, der Festsaal der koproduzierenden Sophiensaele ist am Ende derart eingesaut, wie es die Wiener Aktionisten der 60er und 70er Jahre, auf die sich ihre Enkelin Florentina Holzinger ausdrücklich bezieht, nicht besser hinbekommen hätten.

„Tanz“ von Florentina Holzinger ist nicht nur eine Zumutung für ihre Tänzerinnen, mit denen sie gemeinsam auf der Bühne steht, sondern vor allem auch für das Publikum: nicht nur wegen des mehrfach ins Publikum ziehenden Zigaretten- und Zigarren-Qualms, sondern vor allem wegen der in quälender Grausamkeit zelebrierten Szene, in der eine Tänzerin an Fleischerhaken wie Schlachtvieh in die Höhe gezogen wird. Wenn sich die Haken in ihre Haut hineinkrallen, ist schon das bloße Zuschauen äußerst schmerzhaft.

Vor einigen Jahren war Florentina Holzinger, damals noch gemeinsam mit Vincent Ribeek, ein skurriler Live-Act am Rande großer Festivals. Bei „Foreign Affairs“ durften sie beispielsweise auf dem Parkdeck des Hauses der Berliner Festspiele performen. Langsam entwickelte sich Holzinger zum Off-Theater-Geheimtip, die ersten beiden Teile ihrer aktuellen „Körper als Spektakel“-Trilogie blieben noch unter dem Radar einer breiteren Öffentlichkeit.

Holzingers Ritterschlag war die Pressekonferenz von René Pollesch im Frühsommer 2019, bei der er in gefühlt jedem dritten Satz von den radikalen Performances der 34jährigen Österreicherin schwärmte und verkündete, dass sie in seinen Plänen für die Intendanz an der Volksbühne ab 2021 eine wichtige Rolle spielen wird.

Das elektrisierte die Theaterszene, ihr neues Stück entwickelte sich schon bei der Premiere im Oktober 2019 im Wiener Tanzquartier zum Hype und wurde früh als ein Topfavorit für das Theatertreffen 2020 gehandelt.

„Tanz“ ist als exzessiver Stilmix, der sich manchmal etwas zu platt und wahllos bei feministischer Theorie, drastischer Pornographie, Stunts, B-Movie-Anspielungen und vielem mehr bedient und sein Publikum mit selbstverletztender Autoaggresivität konfrontiert, sicher einer der ungewöhnlichsten Abende dieser Theater-Spielzeit. Holzinger polarisiert, proviziert und verstört große Teile des traditionellen Theater-Publikums.

Bild: Eva Würdinger

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