Ljod – Das Eis

Die Puppen fehlen diesmal: Jan-Christoph Gockel doppelt seine Figuren häufig mit Puppen, die Michael Pietsch für ihn baut. Mit seinen Inszenierungen ist er regelmäßig bei den Autorentheatertagen des Deutschen Theaters Berlin zu Gast. Obwohl er noch keine Einladung zum Theatertreffen bekam, waren einige seiner Arbeiten auch in der Jury-Diskussion, so auch „Ljod – Das Eis“.

Die Roman-Trilogie von Vladimir Sorokin, die er für das Staatstheater Mainz adaptierte, wäre auch tolles Material für Frank Castorf: groteske Figuren, ein dystopischer Stoff, der durch die russische Geschichte surft und Bögen zwischen Stalin und einer blonden, blauäugigen Übermenschen-Sekte schlägt.

Tatsächlich erinnert dieser fünf Stunden lange Abend vor allem im ersten Teil an Castorfs ausufernde Volksbühnen-Abende: Auch „Ljod“ ist ein assoziativer Mash-up aus viel Live-Video, Schreien und Zetern. Statt mit Fremdtexten jonglieren Gockel und sein Ensemble vor allem mit Zitaten von Regie-Stilen.

Mal versammelt sich das Ensemble an einem langen Tisch. Die Handlung kommt für längere Zeit zum Stillstand. Wie eine „Tschechow-Parodie“ wirkte diese Szene schon bei der Premiere auf die Nachtkritikerin Esther Boldt. Mal tanzen alle Spieler*innen in Nazi-Kostümen zu einer schrägen Leni Riefenstahl-Choreographie. Der Abend hat den Charakter einer grotesken Revue: einige Längen wechseln sich mit Kabinettstückchen wie z.B. einer Rockröhren-Show von Simon Braunboeck mit Wiener Schmäh und Mark Ortel oder der witzigen Teufelchen-Tattoo-Show des armen Soldaten, den alle nur „Ofen“ nennen. Die finale Szene, in der sich die Übermenschen in Astralkörper-Anzügen zu ihren kultischen Ritualen versammeln, erinnert an die Kostüme aus Ersan Mondtag-Inszenierungen.

Funktioniert dieser Theater-Abend auch als Stream? Natürlich macht es einen Unterschied, ob man dem grotesken Treiben hautnah aus der ersten Reihe folgen oder nur einen Mitschnitt als Konserve auf dem Rechner sehen kann.

Gerade dieser Abend ist als Stilmix auf die von Netflix gewohnte Bingewatching-Technik angelegt. Dass Nachtkritik die Aufführung zunächst in drei Häppchen zerlegte und erst am lezten Abend am Stück zeigt, ist für „Ljod“ keine optimale Lösung. Dafür ist dieser Gockel-Abend doch zu nah an den Castorf-Volksbühnen-Abend, für die auch gilt, dass sie entweder ganz oder gar nicht funktionieren.

Aber der Stream erfüllt auch seinen Zweck: Er bietet die Chance, eine Inszenierung aus einem der mittelgroßen Häuser kennenzulernen, das sonst nicht auf dem Radar ist, und vermittelt immerhin einen Eindruck einer ideenreichen Inszenierung mit witzigen Einfällen.

Bilder: Andreas Etter

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert