Das große Heft

Diese Inszenierung hat eine ungewöhnliche Karriere gemacht: Am 3. Dezember 2019 hatte Sara Ostertags Adaption des düsteren Romans „Das große Heft“ von Ágota Kristóf Premiere im Kosmos Theater, einer feministischen Off-Bühne in Wien. Bis zum 14. Dezember folgten nur wenige Vorstellungen.

Dennoch war die Inszenierung in der engeren Wahl für das Theatertreffen 2020 und bekam dadurch überregionale Aufmerksamkeit. Während die Theater durch das Corona-Virus stillgelegt sind, bietet Nachtkritik heute und morgen einen Mitschnitt von der Generalprobe im digitalen Spielplan.

Streaming-Angebote von Theater-Aufführungen haben oft mit Problemen zu kämpfen und sind häufig nur Notlösungen. Diese Inszenierung bringt für den Stream jedoch zwei Vorteile mit: Erstens setzt sie ganz auf den Text und die sprachliche Kraft der Vorlage von Ágota Kristóf, die in knappen Sätzen und schneidendem Ton vom Leidensweg der „Hundesöhne“ erzählt. Die Zwillinge wachsen mitten im Krieg bei ihrer Großmutter, einer boshaften Hexe, auf und sie tun alles, um ihre Gefühle zu unterdrücken und sich gegen den Schrecken abzuhärten. Der 80 Minuten kurze Abend ist ein Oratorium mit choreographischer Untermalung. Zweitens funktioniert er auch deshalb als Stream einigermaßen gut, weil sich das Geschehen auf engem Raum in einer Art Sandkasten abspielt. Die Spieler*innen tragen Bodypainting-Kostüme und deklamieren den Text, der oft auch im Hintergrund über eine große Leinwand läuft. Die düsteren Textbrocken werden ironisch durch die „Ode an die Freude“ oder Pophymnen gebrochen, der Abend bleibt jedoch immer nah an seiner Roman-Vorlage. Häufig schwenkt die Kamera zu Jelena Popržan, die am Bühnenrand Alltagsgegenständen Geräusche entlockt und Wortfetzen der Spieler*innen einspricht und loopt.

„Das große Heft“ ist eine konzentrierte, kleine Version des deprimierend-brutalen Stoffs, den zuletzt auch Ulrich Rasche in seiner wesentlich opulenteren und laustärkeren, zum Theatertreffen 2019 eingeladenen Dresdner Inszenierung auf die Bühne brachte. Bei weitem nicht so spektaktulär, aber eine solide Off-Theater-Inszenierung.

Bild: Apollonia Theresa Bitzan

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert