Eine düstere Stimmung lag an diesem Premieren-Abend über der Schaubühne. Das FIND-Festival, einer der Höhepunkte im Berliner Theater-Kalender, sollte heute mit der Uraufführung von Marius von Mayenburgs eröffnet werden.
Das Corona-Virus hing schon seit einigen Wochen wie ein Damoklesschwert über dem Festival. Am Vorabend kam die ernüchternde Nachricht: das gesamte Gastspiel-Programm mit klangvollen Namen wie Kirill Serebrennikov, Angélica Lidell, Milo Rau, Edouard Louis und Toshiki Okada muss abgesagt werden. Nur die Eröffnungs-Premiere konnte stattfinden und angesichts der Ticker-Meldungen spricht vieles dafür, dass dies zugleich auch schon die letzte Premiere dieser Berliner Spielzeit gewesen sein könnte.
Als ob es Mayenburg geahnt hätte, schrieb er für diesen Abend eine Science Fiction-Dystopie über das Scheitern des „Schneller, höher, weiter“ und des technologischen Machbarkeitswahns der Spezies Mensch. Rupp (Robert Beyer) hat es gründlich satt: seine Familie, den Kapitalismus, die neo-koloniale Ausbeutung von Rohstoffen, die Klimakrise. Deswegen beschließt er, mit allem Schluss zu machen und die Evolution zurück zu drehen. Er entwickelt sich zum Affen: zum verständnislosen Entsetzen von Frau (Jenny König), Sohn (Mark Wascke) und Tochter (Genija Rykova, die bis zum Ende der vergangenen Spielzeit am Münchner Residenztheater engagiert war). Für Forscher und Medien ist er dagegen die Sensation und eine Projektionsfläche für ihre Hoffnungen und Ängste.
Der Abend führt vor, wie sich nach und nach auch alle anderen in Affen zurückverwandeln. Jenny König ist die letzte Bastion, sie träumt in einem längeren Monolog noch einmal davon, dass sich der Mensch mit moderner Technik die Erde untertan macht. Aber auch ihr verrutschen mitten im Text immer öfter die Silben und Wörter, bis auch sie nur noch unverständliche Laute ausstoßen kann.
Die menschliche Zivilsation liegt schließlich am Boden, alle vier Spieler*innen krabbeln auf allen vieren über die Globe-Bühne, die klein genug ist, dass sie unter die Ausnahmeregelung fällt und noch bespielt werden darf. Sie fallen übereinander her und stoßen animalische Laute aus.
Sehr plakativ und mit erhobenem Zeigefinger, allerdings mit wesentlich weniger Komik als in seinen beiden letzten Schaubühnen-Uraufführungen „Stück Plastik“ und „Peng“ möchte Marius von Mayenburg mit einer grotesken Tragödie unserer Gesellschaft den Spiegel vorhalten.
Trotz vier hervorragender, jedoch unterforderter Spieler*innen bleibt der Abend zäh: zu textlastig und thesenhaft, mit zu wenig theatralen Elementen. Die haarigen Kostüme, die Anneke Goertz entwickelte, sind das Beste an diesem Abend.
Nachdem sich auf der Bühne die Spieler*innen in wilde Tiere zurückverwandelt haben, stehen an diesem Abend bange Fragen und Perspektiven im Raum, die ähnlich düster sind wie dieses Stück: Wie wird die Ausbreitung des Virus unsere Gesellschaft verändern? Wie viel Solidarität wird es geben? Wie gehen wir mit Entschleunigung, Isolation und Home Office um?
Bilder: Arno Declair