Antigone. Ein Requiem

Keine Überschreibung, sondern eine Re-Komposition sei dieser Abend „Antigone. Ein Requiem“ liest eine blinde Choristin aus dem Einführungstext in Brailleschrift vor.

Thomas Köck, mehrfach preisgekrönter junger Dramatiker, bekam vom Schauspiel Hannover den Auftrag, die klassische „Antigone“-Tragödie des Sophokles neu zu bearbeiten. Auch in seiner Fassung widersetzt sich die Titelfigur (Alrun Hofert) den Befehlen Kreons (Bernhard Conrad). Bei den Toten, die nicht bestattet werden dürfen, handelt es sich jedoch nicht um ihren Bruder Polyneikes, sondern die Flüchtlinge, die im Mittelmeer in Seenot geraten sind und sich in Leichensäcken an der Küste türmen.

In den Rededuellen prallen die Positionen gewohnt unversöhnlich aufeinander: Auf der einen Seite Antigone, die Vertreterin der Zivilgesellschaft, die an Humanität und Empathie appelliert, darauf beharrt, dass das auch unsere Toten sind und fragt, was ein Friede wert sein kann, der so viele Tote zurücklässt.

Alrun Hofert als Antigone

Ihr Gegenpart Kreon ist die fleischgewordene Festung Europa, der in dieser Hannoveraner Inszenierung weniger als ein mit harter Hand regierender autokratischer Herrscher dargestellt wird. Dieser Kreon ist vielmehr ein smarter Politmanager, der die Ordnung und das Gesetz betont. Aber mindestens ebenso wichtig ist ihm, dass er die Rechtslage der Situation stets flexibel und geschmeidig anpassen kann. Das sind nicht „unsere Toten“, kanzelt er Antigone ab.

Zwischen den Fronten steht der Chor, kommentierend, fragend, beobachtend, hin- und hergerissen, mal besorgte Bürger, die sich überfordert und an den Grenzen der Aufnahmefähigkeit fühlen, mal mitfühlend und hilfsbereit. Den sehr diversen Chor aus Laien mit und ohne Behinderung führt Stefan Kolosko an, der aus der Zusammenarbeit mit Einar Schleef und Christoph Schlingensief bekannt ist. Als blinder Seher Teireisas spricht er auch die Warnungen vor dem Klimawandel, der Köck bereits in mehreren Stücken beschäftigt hat.

Der starke, klug aktualisierte Text steht im Zentrum der sehenswerten Uraufführung von Marie Bues, die sie im Oktober 2019 im Ballhof Eins realisiert hat und mit der das Schauspiel Hannover sein Streaming-Angebot in Zeiten von Corona eröffnet hat.

Bilder: Katrin Ribbe

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