Die Getriebenen

Im Juli 2015 dominierte ein Thema die Schlagzeilen: die Schuldenkrise Griechenlands und die Frage, ob es einen Grexit geben soll. Der damalige Finanzminister und heutige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble warb vehement dafür und lieferte sich monatelange Scharmützel mit seinem Amtskollegen Yannis Varoufakis. Bundeskanzlerin Angela Merkel beharrte darauf, Griechenland in der Euro-Zone zu halten, und setzte sich mit dieser Position schließlich durch.

Mit den hektischen Versuchen, diese Euro-Krise zu bewältigen, setzt das zweistündige TV-Drama „Die Getriebenen“ ein. Zwischen den Gipfelberatungs-Runden bekommen die Politiker*innen jedoch SMS über einen anderen Krisenherd, der erst in den folgenden Wochen ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit rückte und die Schlagzeilen beherrschte.

Diese Vorgeschichte der Flüchtingskrise wollen Regisseur Stephan Wagner und Drehbuchautor Florian Öller erzählen. Die Stärke ihres Films ist, dass sie sehr effektsicher, mit schnellen Schnitten und pointierten Dialogen ein packendes Polit-Hinterzimmerdrama inszenieren. Tagesschau-Archiv-Material und fiktive Szenen werden gezielt vermischt, authentische Sätze, die jeder Fernsehzuschauer kennt, stehen neben bissigen Bemerkungen, die zum Rätseln einladen: Könnte es so gewesen sein?

Problematisch ist allerdings, dass Wagner/Öller bei ihrer Vorliebe für kantige Charaktere übers Ziel hinausschießen. Viele Figuren sind sehr holzschnittartig geraten, Markus Söder (Matthias Kupfer) und Sigmar Gabriel (Timo Dierkes) werden als fies grinsende Strippenzieher gezeichnet, die in jedem Moment nur taktisch nach dem eigenen Vorteil suchen.

Sie sind die Negativ-Folie, vor der die Hauptfigur um so heller strahlen kann: Imogen Kogge als Angela Merkel. „Fast eine Heiligsprechung“ titelte Heribert Prantl treffend in der Süddeutschen Zeitung: Stets gelassen, immer nur an der Sache orientiert, diszipliniert und doch empathisch – der Film zeichnet das Ideal-Bild einer souveränen Staatsfrau, das allzu glatt und allzu schwarz-weiß ist. Eben „fast eine Liebeserklärung“, wie Prantl nachlegt.

Mitte September 2015, als die Willkommenseuphorie vom Münchner Hauptbahnhof zu bröckeln begann, endet der Film. Nur als kurzer Nachklapp stellen Kogge und Josef Bierbichler, der als Horst Seehofer den differenziertesten Charakter zwischen Phlegma, Kauzigkeit und angeschlagenenem altem Löwen, der sein Revier verteidigt, verkörpern darf, die berühmte Szene nach, als der CSU-Vorsitzende seinen Gast von der Schwesterpartei öffentlich vorführte und demütigte.

Mit all den Schwierigkeiten, die dann begannen, vor allem mit dem Türkei-Deal, der in der gleichnamigen Buchvorlage des WELT-Redakteurs Robin Alexander breiten Raum einnahm, befasst sich der Film „Die Getriebenen“ nicht weiter. Er belässt es bei kurzen Andeutungen im Abspann, die „Tagesthemen“ warten bereits.

Kanzleramtschef Peter Altmaier (Tristan Seith, re.) konfrontiert Bundesinnenminister de Maizière (Wolfgang Pregler) mit einem Fehler des BAMF.

Auch sonst interessiert sich der Film weniger für Details und Fakten als für eine dramatisch zugespitzte Erzählung von Machtkämpfen und Intrigen. Jürgen Kaube wies im vorletzten Absatz seiner FAZ-Besprechung auf eine ganze Reihe von Unstimmigkeiten und Schludrigkeiten hin.

Dies sind die Mängel eines Films, der jedoch zweierlei leistet: Er liefert spannende Unterhaltung zur besten Sendezeit und konfrontiert ein Millionenpublikum mit ernsten Themen: Wie war es damals im Sommer/Herbst 2015? Wie hätte man die Krise verhindern oder besser managen können? Was lernen wir aus den Fehlern?

Bilder: © ARD/rbb/carte blanche International/Volker Roloff

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