Von zwei herausragenden Hauptdarstellern lebt diese mehrfach preisgrekrönte Schiller-Inszenierung, mit der die damals 28 Jahre junge Hausregisseurin Jette Steckel die Lessingtage 2011 des Thalia Theaters Hamburg eröffnete.
Mirco Kreibich war wohl noch nie so nah an Kurt Cobain wie in dieser Titelrolle. Mit den langen, blonden Strähnen, der sportlich-drahtigen Figur und den zugleich melancholischen, aber sehr wachen Augen haben die beiden ohnehin eine große Ähnlichkeit. An diesem Abend spielt Kreibich dies voll aus und schaltet blitzschnell zwischen jugendichem Übermut, Rebellentum und trauerumflortem Weltschmerz um. Allein seine Performance, die mit dem Boy Gobert-Preis der Körber-Stiftung für Nachwuchskünstler ausgezeichnet wurde, macht den Abend schon zum Ereignis.
An seiner Seite hat Jens Harzer einen großen Auftritt als intellektuell abgeklärter, raffiniert die Strippen ziehender Marquis Posa, der die anderen Figuren mit seinen Schachzügen vor sich hertreibt und sein berühmtes Plädoyer für Gedankenfreiheit und gegen autoritäre Friedhofsruhe hält. Der Iffland-Ring-Träger wurde damals zum zweiten Mal zum Schauspieler des Jahres gekürt.
Erstaunlich souverän hält Steckel die Fäden dieses mit fast vier Stunden sehr langen Abends zusammen. Die komplexe Handlung voller Intrigen und abgefangener Briefe des Schiller-Klassikers fordert seinem Publikum einiges ab. Sie hält jedoch geschickt die Balance zwischen den pathetischen Jamben und den locker-flockigen Sprüchen, mit denen Kreibich und Harzer sich immer wieder necken und kurz aus der Rolle heraustreten, ohne den Ernst des Dramas zu verraten.
In der arte/NDR-Aufzeichnung kommt das Raumkonzept von Steckels langjährigem Bühnenbild-Partner Florian Lösche, das in einigen Premierenkritiken besonders gelobt wurde, nicht so gut zur Geltung. Dennoch wird auch auf dem Bildschirm die Qualität dieser Inszenierung deutlich, die damals in Hamburg mit dem Rolf Mares-Preis für eine der drei herausragendsten Arbeiten des Jahres ausgezeichnet wurde.
Jette Steckel inszeniert zwar nach wie vor am Thalia und auch regelmäßig am DT Berlin, ihr „Don Carlos“ ist aber nicht mehr im Hamburger Repertoire und war nur heute im Thalia Digital-Angebot zu sehen.
Bilder: Heji Shin