Lost and Found

Im Dezember 2015, als die erste Euphorie der Willkommenskultur langsam abebbte, die Notunterkünfte der Flüchtlinge aber immer noch voll waren, brachten Yael Ronen und ihr Ensemble am Volkstheater Wien die Stückentwicklung „Lost and Found“ heraus.

Eine Stunde lang verhandeln linksliberale Bobos und Hipster ihre privaten Befindlichkeiten: die Dialoge sind wie auch im Nachfolge-Stück „Gutmenschen“ an das TV-Soap-Format angelehnt und kreisen um scheiternde Beziehungen und unerfüllte Kinderwünsche. Im Mittelpunkt des Abends steht zunächst Lifestyle-Vloggerin Maryam (Birgit Stöger), deren Beziehungsstress ohnehin kompliziert ist. Sie ist vor allem damit beschäftigt, sich mit einer Samenspende ihres schwulen Freundes Schnute (Knut Berger) künstlich befruchten zu lassen und mit ihm einen Neun-Punkte-Plan für die Erziehung auszuhandeln. Der pedantische Ernst, mit dem die beiden Punkt für Punkt abhandeln, ist eine der witzigsten Szenen des Abends.

In dieses Hipster-Leben platzen ihr Bruder Elias (Sebastian Klein) mit seiner Ex-aber-Irgendwie-doch-immer-noch-Partnerin Camille (Anja Herden) aus Berlin und ihr Ex Jochen (Jan Thümler). Sie treffen sich alle in ihrer Wohnung, um die Beerdigung ihres Vaters zu planen. Mit viel Slapstick wird die Beziehungsunfähigkeit karikiert, in der sich die Figuren verheddern.

Die Flüchtlingskrise bleibt während dieser ersten Stunde meist im Hintergrund, zu sehr sind die Bobos mit sich und ihrer Nabelschau befasst. Die Möbel aus der Wohnung des toten Vaters spendete Maryam in einer Schlüsselszene schnell an ein Flüchtlingsheim und schlägt damit zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie bekommt das gute Gefühl, dass sie Hilfsbereitschaft zumindest simulieren konnte. Mindestens ebenso wichtig ist ihr aber, dass sie sich mit dem alten Gerümpel nicht mehr herumschlagen muss.

Erst in der letzten halben Stunde kommt die Flüchtlingskrise, personifiziert durch den Cousin Yousef (Osama Zatar), ins Spiel. Um ihn und seine drohende Abschiebung drehte sich die gesamte Fortsetzung „Gutmenschen“, die 2018 bei den Autorentheatertagen am Deutschen Theater Berlin eingeladen war.

Mit den klassischen Mitteln des Boulevard- und Volkstheaters führt der Abend die Hilflosigkeit der Figuren vor, die sich in ihrer linksliberalen Wohlfühlblase eingerichtet haben und plötzlich mit der Realität konfrontiert wurden.

„Lost and Found“ fehlt zwar der Biss der besten Gorki-Abende von Yael Ronen, in Wien traf der Abend dennoch einen Nerv des Zeitgeists. 2016 wurde „Lost and Found“ sogar mit dem Nestroy-Autor*innenpreis für das beste Stück des Jahres ausgezeichnet.

Bilder: © www.lupispuma.com / Volkstheater

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