Auch knapp zwanzig Jahre nach der Premiere beeindruckt die zeitlose Eleganz dieser „Emilia Galotti“-Inszenierung. Zu den elegischen Klängen der neu abgemischten Film-Musik von Wong Kar-Wais „In the Mood for Love“ (2000) schreiten die Spieler*innen in Designerkleidung und in die Ferne gerichtetem Blick über einen Catwalk, der zwischen steilen Wänden von Olaf Altmann eingezwängt ist.
Thalheimer erzählt die klassische Lessing-Tragödie vor allem über die Körpersprache, stilisierte Gesten und die Musik, die in den 75 Minuten zum Ohrwurm wird. Gesprochen wird wenig und falls doch, dann häufig in einem sehr gehetzten Turbotempo von Sven Lehmann als Prinz und Ingo Hülsmann als sein Marinelli, so dass die Details ihrer Intrigen bewusst verwischt werden.
Diese Erzählweise, einen Klassiker bis auf das dürre Skelett zu entkernen, war damals neu und setzte einen spannenden Kontrapunkt zu den werktreuen Exerzitien von Peter Stein oder Andrea Breth auf der einen Seite des Spektrums und Frank Castorfs wüst-ausufernden Trips, die regelmäßig bis nach Mitternacht dauern.
Mit „Emilia Galotti“ stellte sich Thalheimer im September 2001 erstmals dem Berliner Abo-Publikum vor, nachdem er im Mai jenes Jahres mit gleich zwei Inszenierungen („Liliom“ vom Thalia Theater Hamburg und „Das Fest“ vom Staatsschauspiel Dresden) zum Theatertreffen eingeladen war.
Der nur 75 Minuten kurze Abend lebt von der präzisen, fast tänzerischen Choreographie dieses Star-Ensembles, zu dem außer den bereits genannten vor allem noch Regine Zimmermann in der Titelrolle und Nina Hoss als unglücklich liebende Gräfin Orsina zählen.
Als Verlorene schreiten sie aneinander vorbei, Corona-Warnleuchten blinken nur auf, wenn sich Nina Hoss und Ingo Hülsmann in einer Kussszene die Zunge zu tief in den Mund stecken.
Fast ein Jahrzehnt bis 2009 wurde diese „Emilia Galotti“ in Berlin und auf interationalen Gastspielreisen gezeigt, heute holte sie das DT Berlin für seine Online-Reihe „Heimspiel“ aus dem Archiv.
Am DT folgten der „Emilia Galotti“ noch einige Großtaten von Michael Thalheimer wir z.B. seine „Orestie“ (Theatertreffen 2007) oder seine „Ratten“ (Theatertreffen 2008), in seinen aktuelleren Arbeiten an der Schaubühne und am Berliner Ensemble erreichte er das Niveau seiner „Emilia Galotti“ jedoch nur noch selten.
Porträt von Regine Zimmermann: Klaus Dyba