Politisch engagiertes, aufklärerisches Dokumentartheater mit unterhaltsamer Leichtigkeit zu verbinden, ist der Anspruch von Regisseur Helge Schmidt bei seinem Stück „Cum-Ex Papers“, das er mit seinen drei Spieler*innen im Herbst 2018 am Lichthof Theater Hamburg entwickelte.
In einem Einführungs-Video auf Nachtkritik erklärt er den ungewöhnlichen Entstehungsprozess dieses Theater-Abends. Journalist*innen des Recherchezentrums Correctiv, des ARD-Magazins Panorama sowie von ZEIT und ZEIT Online zogen ihn ins Vertrauen, als sie einem milliardenschweren Steuerbetrug auf der Spur waren. Ein Jahr lang durfte er unter dem Siegel der Verschwiegenheit ihre investigativen Recherchen begleiten, bis sie gemeinsam an die Öffentlichkeit gingen: dem Coup in den Medien folgte wenige Tage später die Premiere im Off-Theater.
Ein langes Interview mit Benjamin Frey ist der rote Faden für Schmidts Theaterabend. Jonas Anders schlüpft mit Nerd-Brille in die Rolle eines ehrgeizigen Jungen aus der Provinz, der sich nach seinem Jura-Top-Examen bei einem großen Dinner im eigens gemieteten Victoria and Royal Albert Museum von einer internationalen Wirtschaftskanzlei ködern lässt.
In den besten Momenten des 90 Minuten kurzen Abends lässt Schmidt die Protagonisten selbst sprechen. In kurzen „Panorama“-Ausschnitten, die kurz vor der Premiere gesendet wurden, geben die Protagonisten Auskunft über ihre Motive. Die spannendste Figur in diesem Wirtschaftskrimi ist Hanno Berger, der die Seiten wechselte: nach zwölf Jahren bei der hessischen Finanzverwaltung beriet er Banken dabei, wie sie die Lücken des Steuerrechts zu ihren Gunsten ausnutzen können. Er war Mentor des Kronzeugen Frey und ist sich weiterhin keiner Schuld bewusst.
Die Live-Performance von Jonas Anders, Ruth Marie Kröger und Günter Schaupp fällt gegen dieses authentische Material etwas ab. Dem in wechselnden Rollen agierenden Trio gelingt es gut, die komplexen Cum-Ex-Deals anschaulich in einem Zwei-Minuten-Sketch allgemeinverständlich zu machen. Plastisch zeichnet der Abend auch nach, wie mehrere Bundesfinanzminister versuchten, das Problem einfach auszusitzen. Der halbherzige Versuch, den Cum-Ex Geschäften einen Riegel vorzuschieben, mutierte im Jahressteuergesetz 2007 fast schon zur Anleitung, wie man sich die Steuer-Erstattung am besten ergaunern kann.
Den „Cum-Ex Papers“ ist aber an manchen Stellen zu deutlich der Wille anzumerken, das Publikum bloß nicht mit der trockenen, hochkomplizierten Materie zu überfordern oder abzuschrecken. Ein paar Mal zu oft wälzen sich die drei Protagonist*innen in den Lametta- und Konfetti-Schnipseln der ergaunerten Beute, etwas zu klischeehaft performen sie die Gier der porschefahrenden Investment-Banker und Finanz-Strategen.
Unter dem Strich entsteht dennoch ein wichtiger, aufklärerischer Abend, der im Herbst 2019 sogar mit dem „Faust“ des Deutschen Bühnenvereins für die beste Regie ausgezeichnet wurde.
Der Cum-Ex-Skandal ist noch lange nicht beendet, die juristischen Verfahren dauern an und die Deals der traditionsreichen Hamburger Warburg Bank spielten zuletzt auch im Bürgerschaftswahlkampf vom Februar 2020 eine zentrale Rolle.
Bilder: Anja Beutler