Die obskuren Geschichten eines Zugreisenden

Überdeutlich spielt der deutsche Verleihtitel des spanischen Films „Ventajas de viajar en tren“ auf Luis Buñuel, den Meister des surrealistischen Kinos an. Aritz Moreno nimmt sein Publikum auf eine knapp 100minütige groteske, vielfach verschachtelte Reise mit. Bei seinem Regie-Debüt macht er sich einen Spaß daraus, seine Zuschauer*innen mit überraschenden Finten und Perspektivwechseln zu foppen und mit Ekelszenen der besonders plumpen und drastischen Art vor den Kopf zu stoßen.

Spannende Ansätze wie die paranoide Verschwörungsidee, dass es sich bei der Müllabfuhr um eine Geheimpolizei handelt, die aus den Abfällen gigantische Datenbanken mit Persönlichkeitsprofilen aller Bürger anlegt, oder die präzise SM-Dogtraining-Studie zwischen der Verlegerin Helga Pato (Pilar Castro) und ihrem Lover Emilio (Quim Gutiérrez) stehen neben platten Kot-Ess-Phantasien und kolportagehaften Strängen über einen Pädophilen-Ring auf dem Balkan.

Moreno liebt es, zwischen Motiven aus Thriller, Horror, Fantasy, Psychodrama und purem Trash hinherzuspringen und sofort aus der Schublade herauszuspringen, wenn man glaubt, dass er sich auf ein Genre festgelegt hat. Wie die Süddeutsche Zeitung zurecht feststellte, verheddert er sich am Ende doch zu sehr in den vielen ausgelegten Erzählfäden.

Bleibt dieses Debüt eine Eintagsfliege? Oder hat das spanische Kino eine Nachwuchshoffnung? In seinem rotzigen, expressiv-überschießenden, skurrilen Stil erinnert Moreno durchaus an den jungen Pedro Almodóvar oder die satirischen Horror-Trips von Alex de la Iglesia.

„Ventajas de viajar en tren“ basiert auf dem gleichnamigen, nicht auf Deutsch übersetzten Roman von Antonio Orejudo aus dem Jahr 2000, hatte seine Premiere im Oktober 2019 beim „Festival Internacional Cinema Fàntastic de Catalunya“ in Sitges und startete am 20. August 2020 in den deutschen Kinos.

Bilder: David Herranz

One thought on “Die obskuren Geschichten eines Zugreisenden

  1. Stefan Bütow Reply

    Prinzipiell haben deine Kritiken durchaus einen guten Stil. So möge man dir deine abfälligen Bemerkungen über den großartigen Film „Master Cheng in Pojanjoki vergeben.
    Wo Kaurismäki drauf steht, ist auch Kaurismäki drin, siehe des Bruders (Ari K.)
    Meisterwerk“ I hired a contract killer“.
    Allora, möge doch jeder seine Meinung zu Filmen haben, vor allem während der aktuellen und gehirnlosen Cancel Culture-Zeit.
    Leider ist dem normalen Kinofan seit einiger Zeit nicht möglich, Karten für die Berlinale zu erwerben. So habe ich den grandiosen Christoph Schlingensief Film im August 2020 gesehen. Wäre er doch noch da…….
    In diesem Sinne durchaus Respekt für Meister Kögler.
    Hochachtungsvoll.
    Stefan Bütow.

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