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Durch einen märchenhaften Parcours lotsen Ute Pliestermann und Toula Limnaios, die Chefin der Compagnie, ihr Publikum. Beide tragen Kostüme von Stewardessen. Ähnlich wie nach dem Boarding erklärt Pliestermann mit grotesk überzeichneten, ausladenden, pantomimischen Bewegungen den Ablauf des 90minütigen Abends und die Corona-Abstandsregeln, die hier vorbildlich ernst genommen werden.

Als sich das Absperrband hebt, geht es zunächst in den Garten vor der Halle Tanzbühne. Eine sonore Stimme vom Band parodiert einen Museums-Guide und erklärt minutiös, an welcher Stelle wir welche archäologischen Schätze sehen können. Natürlich sehen wir davon nichts, natürlich ist das nur eine der ironischen Volten des Abends. Stattdessen setzt Alba de Miguel, mit Farbe beschmiert und mit gewaltigen Minotaurus-Hörnern auf dem Kopf, zu einem surrealen Tänzchen an.

Das Publikum steht in sicherer Entfernung. Frei nach Monty Python ist für jeden Gast ein Bambusstab reserviert: mit anderthalb Meter Sicherheits-Abstand zu den Nachbarn und bester Sicht auf das groteske Geschehen. Aus der ersten Bambus-Reihe löst sich plötzlich Francesca Bedin, sie stürzt zu Boden und liefert sich mit ihrer Bambusstange anschließend einen ritterlichen Wettkampf mit ihrem Tanzpartner Daniel Afonso.

Nächste Station ist das Erdgeschoss, wo sich Leonardo D’Aquino in einer Wasserlache und Kunstblut windet. Wie in vielen Choreographien der vergangenen Wochen, wie z.B. bei Sasha Waltz oder Marie Bues/Nicki Liszta, verkörpert er das von der Corona-Pandemie und den Konsequenzen des Lockdowns schwer gebeutelte, zuckende Subjekt. Als er sich nach dem letzten Aufbäumen müde auf dem Podest krümmt, übernimmt rechts neben ihm Hironori Sugata.

Er steckt in einem riesigen, knallroten Kostüm, irgendwo zwischen Michelin-Männchen und Virenschutzanzug, und kann sich nur schwerfällig-hampelnd bewegen, bis aus seinem Anzug die Luft entweicht. An die Hörner der Minotaurus-Figur knüpft schließlich Karolina Wyrwal an, die ein weiteres Fabelwesen verkörpert.

So grotesk-surreal wie das Figuren-Arsenal dieser „meantime“-Performance, die aus einer mythischen Zwischenwelt in unserer Pandemie-Zeit gelandet sind, ist auch die Tatsache, wie unterschiedlich streng die Corona-Regeln beachtet werden: In der Halle Tanzbühne bewegen sich Kleingruppen von maximal 21 Zuschauer*innen mit Masken und Abstand durchs Haus, während einige Straßenzüge weiter, in der Touri-Abfütterungsmaschine Umami, der Abstand längst auf Zentimeter geschrumpft ist und der Ballermann vom Prenzlauer Berg zu besichtigen ist. Dem Bezirksamt Pankow sind diese Zustände offenkundig egal und der Regierende Bürgermeister Michael Müller ist statt Krisen-Managements damit beschäftigt, die eigene Karriere zu retten, und deshalb verzweifelt auf der Suche nach einem Wahlkreis für den Bundestag.

Mit diesen Gedanken geht es streng auf Abstand und vorbei an den Desinfektionsmittel-Spendern ins Foyer im 1. Stock. Hinter Plastikfolien kauern dort Laura Beschi und Alessio Scandale, die einen wunderbaren Pas de Deux über das Ringen eines Paares aufführen. Sie erzählen eindringlich vom Herantasten, vom Begehren und vom Zurückweichen in dieser Beziehung, schwankend zwischen Harmonie, Trauer und Aggression.

Dieses Highlight des Abends ist unter Corona-Bedingungen natürlich nur möglich, da die beiden auch im echten Leben ein Paar sind und einen gemeinsamen Haushalt führen, wie es im Behördendeutsch heißt. Zwischen all den Soli, Monologen und streng auf Abstand bedachten Momenten ist dies eine tolle Erinnerung, wie mitreißend und körperlich Tanz und Theater hoffentlich bald wieder sein können.

Bild: Cyan

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