Schwarzer Block

Als „schreibender Aktivist“ versteht sich Kevin Rittberger laut Abendzettel, seine Botschaft ist eindeutig: Nur auf die Antifa, auf den schwarzen Block ist Verlass. Sie sind unverzichtbar für die Verteidigung unserer Demokratie, da sich die eigentlich dafür zuständigen Staatsorgane, die Polizei und der Verfassungsschutz, kompromittiert haben.

Ein wütender Chor versammelt sich im Hof vor dem Gorki Theater und im Container. Sie prangern rechte Morde an linken Aktivist*innen und Minderheiten an. Ihr Fazit ist düster: von der Weimarer Republik bis heute sehen Kevin Rittberger, der Autor des Langgedichts „Schwarzer Block“, und seine 15 Spieler*innen eine blutige Kontinuitätslinie.

Warum haben sich KPD und SPD damals nicht zusammengeschlossen, um den Aufstieg der Nazis zu verhindern? Diese Frage hallt leitmotivisch aus dem Hof in die Kopfhörer des Publikums, das mit dem nötigen Abstand im Theatersaal sitzt. Stakkatoartig werden Namen von Gewaltopfern vorgetragen: bekannte Namen wie Rosa Luxemburg, Antonio Amadeu, nach dem eine Stiftung benannt ist, oder die Opfer der NSU-Mordserie.

Darunter mischen sich aber auch viele unbekanntere, heute vergessene Namen, z.B. Günter Sare, der 1985 bei einer NPD-Gegendemo in Frankfurt/Main von einem Wasserwerfer der Polizei überfahren wurde. Ihm ist der zweite Abschnitt dieser vierteiligen Sprechoper gewidmet. Ein Trio kommt live auf die Bühne des Gorki Theaters und schlägt den Bogen zu den 11 rechtsextremen Morden von Hanau, die 35 Jahre später nur 20 km entfernt begangenen und von der Öffentlichkeit schnell verdrängt wurden, auch weil wenige Wochen später der Corona-Lockdown begann.

Immer wütender und energiegeladener formiert sich der schwarze Block vor den Türen des Theaters. In kleinen Kabarett-Nummern schälen sich einzelne Spieler*innen aus dem Pulk: Aram Tafreshian taucht mehrfach als Carsten, die Karikatur eines Polizisten auf, Çiğdem Teke fährt mit ihrer Limousine minutenlang orientierungslos im Kreis und verheddert sich in ihren identitären Parolen.

Das Langgedicht, das in strenger Chorformation begann, wird im Lauf des Abends durch diese komödiantischen Elemente ein wenig aufgelockert. Trotz dieser Einsprengsel verliert der Text aber nichts von seiner Wucht. Autor Rittberger und sein Chor brüllen ihre Wut heraus, sie wollen anklagen. Um Differenzierungen geht es an diesem Abend nicht, sondern nur um die klare These: Ohne die Antifa wäre der Kampf gegen Rechts verloren, das linksliberale Bürgertum in seinen gentrifizierten Wohlfühlbezirken wäre zu schwach. Natürlich soll diese These provozieren und zum Widerspruch herausfordern.

Bemerkenswert macht den Abend vor allem, wie virtuos er sich bei immersiven Theatermitteln bedient und dabei auch Gastspielen aus der „Immersion“-Reihe der Berliner Festspiele überlegen ist. Nur selten erleben wir die Spieler*innen wie gewohnt auf der Bühne, meist sehen wir sie im Live-Video an die Wände projiziert, ihre Stimmen erreichen uns über die Kopfhörer.

Sebastian Nübling hat einen sehr energiegeladenen, körperbetonten Wutchor choreographiert, der im Gorki Theater zum spannenden Raum-Erlebnis wird, Sound-Effekte nutzt und den Saal fast im 360 Grad-Modus bespielt. Damit ragt die Inszenierung aus dem meist sehr statischen Corona-Abstand-Theater heraus und macht Hoffnung, welche Alternativen zum Aufsagetheater auch in Zeiten der Pandemie-Regeln möglich sind.

Bild: Esra Rotthoff

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