Geballte Theater-Prominenz lotste Rolf C. Hemke zum Kunstfest Weimar: Sibylle Berg! Benny Claessens! Ersan Mondtag! Falk Richter! Dimitrij Schaad!
Zwei Monologe bestellte er als Auftragswerke, jeweils eine knappe Stunde lang, die auf sehr unterschiedliche Art die Wochen des Corona-Lockdowns reflektieren.
Zunächst gibt sich Benny Claessens die Ehre: Divenhaft rauscht er herein, watscht zunächst mal andere zum Festival eingeladene Künstler ab (Grüße an La Fura dels Baus und an die 90er) und pflaumt die überdimensionale Goethe-Statue des Lokalheroen und Nationaldichters an. So schnoddrig und liebenswert rüpelhaft-respektlos wie üblich setzt Claessens zu seiner Solo-Show an.
Knapp fünfzehn Minuten dauert es, bis er das Manuskript von Sibylle Bergs „PAUL oder im Frühling ging die Welt unter“ zur Hand nimmt und mit einer szenischen Lesung der zwanzig dünnen Seiten beginnt. Szenische Lesungen seien ihm laut Vertrag verboten, aber mache das jetzt einfach trotzdem so, da er den Text nicht lernen wollte, für Special Effekte sei ohnehin kein Geld mehr da, nachdem Chris Kondek und Falk Richter das Budget mit ihren Videos bereits aufgebraucht hätten, teilt Claessens munter weiter aus.
Seite für Seite arbeitet sich Claessens durch einen Text, der eher „Coming-of-Age-Kurzgeschichte denn ein Bühnentext“ ist, wie Dorothea Marcus in der taz treffend feststellte. Sibylle Berg hat einen lakonischen Text geschrieben, mit nur wenigen Pointen: die bittere Rückschau eines Mannes während der Lockdown-Isolation auf seine Pubertät. Paul erinnert sich an sein 15jähriges Ich, das von den anderen als Freak abgestempelt wurde, weil er auf Jungs steht: Er ist nur Rand, ganz ohne Gruppe!
Mittendrin legt Claessens das Manuskript genervt zur Seite und ruft die Autorin Sibylle Berg an. Er erreicht zwar nur ihre Mailbox, aber sie gibt ihm grünes Licht: Der Text sei nicht so wichtig. Mach einfach, was Du willst. Das lässt sich Claessens nicht zwei Mal sagen. Der Rest des Textes kommt meist vom Band, er singt und tanzt und zieht seine Benny Claessens-Show ab, allerdings nur mit angezogener Handbremse.
Wer ihn als Trump-Riesenbaby in der Jelinek-Uraufführung „Am Königsweg“ oder im „Hass-Triptychon“, das Ersan Mondtag ebenfalls nach einem Sibylle Berg-Text inszeniert hat, bekommt den Eindruck, dass Claessens diesmal Hemmungen hat, die Rampensau wirklich rauszulassen. Lag es an der Unsicherheit, ob er dem Publikum in Weimar ebenso viel zumuten kann wie in Hamburg oder Berlin? Oder war es die Melancholie des Textes, die ihn ausbremste, so dass er nur als „trauriger Clown“ agierte, wie in mehreren Besprechungen zu lesen war?
Die Uraufführung „PAUL oder Im Frühling ging die Erde unter“ hinterlässt jedenfalls einen zwiespältigen Eindruck: Sibylle Bergs Text wirkt noch recht unfertig, wie ein schnell verfasstes Nebenprodukt. Auch Regisseur Ersan Mondtag und Benny Claessens schienen nicht so recht zu wissen, was sie damit anfangen sollen und versuchten es mit einem Mitelweg aus einer Light-Version der bekannten Benny Claessens-Show, ein paar Meta-Theater-Gags und der Lesung der Kurzgeschichte. Aber das Wichtigste an diesem Abend war ohnehin, dass endlich wieder Theater gespielt werden kann und er nicht mehr alleine in der Garage seiner Mutter in Belgien trinken muss, jubelte Benny Claessens.
Deutlich überzeugender ist das zweite Promi-Auftragswerk „Five Deleted Messages“, das Falk Richter schrieb. Dimitrij Schaad, der am Gorki Theater oft genug bewies, dass er ähnliche Rampensau- und Diven-Qualitäten wie sein Kollege Claessens hat, stellt sich ganz in den Dienst dieses Textes.
„Five Deleted Messages“ ist eine ungeheuer dichte Reflexion über den Corona-Lockdown, witzig geschrieben und rasant vorgetragen: „K.“ wacht eines Morgens auf und versteht die Welt nicht mehr. Sein gesamtes Leben ist plötzlich gecancelt. Drei Wochen lang hat er sich von der Welt abgekapselt und ist tief in die Sekundärliteratur-Regalmeter zum „Faust“ eingetaucht, den er am Deutschen Nationaltheater Weimar spielen wollte – tiefgtründiger und besser als alle Schauspieler vor ihm. Nun sind die Vorstellungen abgesagt, ist das öffentliche Leben lahmgelegt und er allein in Unterhose vor dem Kühlschrank.
Sein erster Gedanke: Das haben sicher Thomas Kemmerich und Björn Höcke angerichtet. Ihren Handschlag hat er Anfang Februar noch mitbekommen, bevor er sich von der Welt um ihn herum abgekapselt hat.
Schaads „K.“ versucht zu begreifen, was um ihn herum vorgeht, und durchlebt die gesamte Palette seiner Corona-Stimmungsschwankungen: von dem Frust darüber, dass er isoliert ist und Selbstgespräche führen muss, bis zur Freude über eine friedliche Zeit, die sich wie ein elegischer Frühlingsnachmittag dehnt.
Falk Richter lässt seinen Protagonisten darüber nachdenken, warum die Menschen plötzlich per Gesetz verpflichtet wurden, die „Einzelkämpferpartikel“ zu werden, die sie in der Praxis bereits waren. Wie können wir wieder eine Gesellschaft werden, die keine Angst davor hat, aufeinander zuzugehen?
Gewohnt politisch engagiert setzt sich Richter auch mit den Missständen in den Schlachthöfen, Fleischfabriken und den Sammelunterkünften auseinander, in denen „K.“ plötzlich gestrandet ist. Zu drastischen Schwarz-Weiß-Bildern von Chris Kondek rechnet Dimitrij Schaad mit der Massentierhaltung ab.
„Five deleted messages“ ist ein facettenreicher Text über den Lockdown: ein hochinteressantes Zeitdokument, das viele Fragen stellt, keine vorschnellen Antworten gibt und sich zur allgemeinen Ratlosigkeit dieser Umbruchzeit bekennt.
Bilder: Candy Welz