Das Spannende an dieser Stückentwicklung ist, dass der 75minütigen Revue autobiographischer Monologe anzumerken ist, wie Hausregisseurin Yael Ronen und ihr Ensemble in einer künstlerischen Sackgasse landeten und sich wieder herausarbeiteten.
Als „State of Emergency“ war der Abend ursprünglich angekündigt, als Auseinandersetzung mit den Wochen der Isolation im Lockdown, mit den Monaten vorsichtiger Lockerungen unter strengen Regeln, mit den schrillen Tönen der Verschwörungstheoretiker.
So beginnt der Abend auch als Corona-Kabarett: Niels Bormann kommt als Hygiene-Beauftragter auf die Bühne, trägt in schönstem Bürokratendeutsch genüsslich die besten Stilblüten aus dem Rahmenkonzept des Senats vor und markiert die Bühne mit Absperrband: Das ist jetzt sein Revier. Fast die gesamte Breite der Gorki-Bühne nimmt die abgesperrte Zone ein. Die lieben Kolleg*innen könnten sich ja eigene Spielzonen markieren, irgendwo weiter hinten. Für Dialoge ist in Zeiten der Pandemie eh klein Platz, führt Bormann aus und fühlt sich in seinem Rampensau-Monolog sichtlich wohl.
Die Kabarett-Nummern der ersten Hälfte sind gut gemacht, aber zünden doch nicht so recht. Das liegt vor allem daran, dass die Ideen zu naheliegend sind. Nur einen Tag vor der Premiere am Gorki Theater hatte Sarah Franke einen ganz ähnlichen Auftritt als Corona-Hygiene-Beauftragte, die in der ohnehin überfrachteten „Orestie“-Inszenierung an der Volksbühne wie ein Fremdkörper wirkte. Die Klopapier-Witze, die Magda Willi für ihr Bühnenbild nutzte, waren schon im April abgedroschen.
Die beste Miniatur der ersten Hälfte ist Lea Draegers Solo, die zusammengekauert in einem kleinen Zelt einen kurzen, eindringlichen Monolog über die Einsamkeit im Lockdown spricht. Über die Bühnen-Rückwand flimmern fast während der gesamten Inszenierung ihre Zeichnungen, die sie zu diesem Thema anfertigte.
Als der Kabarett-Revue die Luft auszugehen droht, nimmt der Abend jedoch eine völlig andere Richtung: sehr ernste Töne schlagen Knut Berger und Orit Nahmias ein. Beide erzählen in langen Monologen, die zum Herzstück der Inszenierung werden, vom Sterben ihrer Eltern und vom schwierigen Prozess des Loslassens. Allerdings starben die Eltern weder an Corona noch in den vergangenen Pandemie-Monaten, sondern schon vor einigen Jahren an Krebs oder Herzversagen.
Es tut dem Abend gut, dass er sich von den ursprünglichen Plänen löst und eine andere Flughöhe erreicht. Auch der Stücktitel wurde neu gefasst und erweitert, die Grundstimmung der Inszenierung ändert sich deutlich. In einer melancholisch-düsteren Reflexion sinnt Tim Freudensprung, einer der Jüngsten im Ensemble des Hauses, darüber nach, woran man den Zerfall einer Zivilisation erkennt, wie künftige Generationen auf diese Corona-Zeit und was dies alles für einen 25jährigen bedeutet, dem sein ganzes Leben erzählt wurde, dass er die Zukunft ist.
„Death Positive – States of Emergency“ ist alles andere als aus einem Guss. Zu offensichtlich ist hier, wie das Team versuchte, unterschiedliche Miniaturen zu verbinden und neu zu arrangieren, den Druck des Premierentermins im Nacken. Aber gerade darin besteht auch ein Reiz des Abends, in seinem Facettenreichtum und in seiner Risikobereitschaft, sich mittendrin auf neue Wege vorzutasten.
Bild: Esra Rotthoff