Die 10. Jubiläums-Ausgabe des „Europäischen Festivals für junge Regie“, die das Staatsschauspiel Dresden in diesem Herbst feiern wollte, wurde vom Lockdown hart getroffen.
Die Gastspiele konnten deshalb nur als Mitschnitte im Netz gezeigt werden:
Zur Eröffnung am 12. November präsentierten Regisseurin Marion Siéfert und ihre Protagonistin Helena de Laurens „_jeanne_dark_„. In einem langen Redeschwall, ohne Punkt und Komma, lässt die junge Frau ihren pubertären Gefühlswirren freien Lauf. Sie performt nicht nur ihre eigenen Gedankensplitter, die Unzufriedenheit mit ihrem Körper und den Frust darüber, dass sie den Schönheitsidealen nicht entspricht, den ihr Models und Influencerinnen täglich auf Instagram vorleben. Sie gibt auch all die Stimmen, die auf sie einprasseln, ans Publikum weiter: das Mobbing der Mitschülerinnen, die Ermahnungen und wohlmeinenden Ratschläge ihrer Mutter.
Die junge Frau lässt ihrer Wut und ihren Gefühlsschwankungen freien Lauf, wälzt sich am Boden, schreit auf. Inhaltlich ist dieser Pubertäts-Monolog nicht besonders tiefschürfend, sondern ein Spiel mit den bekannten Klischees über diese Lebensphase, jedoch durchaus amüsant und authentisch. Interessant sind an diesem 105minütigen Pubertäts-Solo vor allem die formalen Aspekte. Der Abend ist konzipiert als Hybrid für zwei parallele Publika: ganz klassisch für das Theaterpublikum, das sich kurz vor dem Lockdown zur Premiere am 2. Oktober 2020 im Théâtre La Commune in Aubervilliers versammelte, aber auch parallel für die Girlies auf Instagram, die genau in jener Phase stecken, von der die 16jährige Jeanne auf der Bühne erzählt. Während das Publikum im Saal das Handy ausschalten soll, weil die blendenden Displays die Vorstellung stören würden, kommentieren die Followerinnen auf Instagram live. Beim Mitschnitt ist nur zu erahnen, wie dieses Live-Experiment wirkt, mit dem sich das Theater neue Zielgruppen erschließen und neue Räume erobern möchte.
Der Abend macht Lust, auch die Vorgänger-Arbeit von Marion Siéfert kennenzulernen: 2019 war ihre Inszenierung „Du Sale!/Real Shit“ ganz analog im Kleinen Haus des Dresdner Staatsschauspiels präsent. Die Litefeet-Tänzerin Janice Bieleu und der Rap-Sängerin Laëtitia Kerfa aka Original Laeti performten ihre Erfahrungen aus den Pariser Banlieues so mitreissend, dass sie im vergangenen Jahr den Hauptpreis des Fast Forward-Festivals gewann.
Aus Polen wurde ein Mitschnitt einer queeren Punk-Freestyle-Version von Georg Büchners „Woyzeck“-Fragment gezeigt. Bereits im Mai 2019 erarbeiteten Grzegorz Jaremko, kurz vor dem Abschluss seines Regie-Studiums an der Theaterakademie Krakau, und sein für die Textfassung zuständiger Dramaturg Marcin Cecko eine Überschreibung des Klassikers.
Marie, die den Woyzeck mit dem Tambourmajor betrügt, ist hier nicht die Geliebte, sondern die Mutter der Hauptfigur. Sie ist als einzige auch nicht Mitglied der Punkband, zu der sich Woyzeck, der hier von einem zierlichen, blonden Emo-Boy verkörpert wird, mit all seinen männlichen Gegenspielern zusammenschließt, die wesentlich athletischer sind.
Der Ansatz, die Versatzstücke des Klassiker-Fragments zu remixen, teilweise zu ersetzen und mit einem Punk-Soundtrack (aus Texten einer polnischen Band und Zitaten aus Büchners „Lenz“) zu unterlegen, ist zwar vielversprechend, verliert sich aber in zu vielen Assoziationen rund um toxische Männlichkeit und lässt klare Konturen vermissen. Mit diesem Online-Gastspiel stellten interessante, junge polnische Künstler vor, die zwar vor frischen Ideen sprühten, die sich an diesem Abend aber dramaturgisch nicht überzeugend zusammenfügten.
Bild: Matthieu Bareyre