Beginning

Wie Hohn klingt der Titel des georgischen Festivalhits „Beginning“: auf einen Neuanfang hoffen die Figuren vergeblich.

Yana (Ia Sukhitashvili) steckt in ihrem Gefängnis fest. Die Ehe zu ihrem Mann David (Co-Drehbuchautor Rati Oneli) ist längst zur Routine erstarrt. Frau und Kind sind für ihn zweitrangig, bei ihm dreht sich alles um seine Gemeinde der Zeugen Jehovas. Sie traut sich auch kaum, das Haus zu verlassen. Die Familie und die ganze Sekten-Gemeinde sind einer diffusen Bedrohung ausgesetzt: gleich zu Beginn wird ein Brandanschlag auf ihren Königssaal verübt. Das war nicht der erste Fall dieser Art, wie wir aus einem Gespräch von Yana und David erfahren. Bereits mehrfach mussten sie fliehen und umziehen, David träumt vom Karrieresprung ins sichere Büro in der Zentrale in Tiflis und erwartet von seiner Gattin, einer ehemaligen Schauspielerin, dass sie ihm klaglos folgt und sich weiter um die Kinder kümmert.

Aber nicht mal die eigenen vier Wände sind eine sichere Zuflucht für Yana. Plötzlich dringt ein namenloser, sadistisch grinsender Mann (Kakha Kintsurashvili) ein, der sich als Polizist ausgibt, sie mit intimsten Fragen bedrängt und später sogar vergewaltigt. Es bleibt in der Schwebe, ob er tatsächlich ein Staatsbeamter ode nur ein Krimineller ist. Auf die Polizei als „Freund und Helfer“ ist ohnehin kein Verlass. In raunenden Andeutungen tauschen sich Yana und David darüber aus, dass Anzeigen schlicht ignoriert werden und es nie zu Verhaftungen kommt, die Täter stattdessen von einer höheren Stelle gedeckt werden.

Das Besondere an Dea Kulumbegashvilis Debütfilm, den sie mit Unterstützung der Festivals Rotterdam und Cannes sowie von Carlos Reygadas als Executive Producer realisierte, ist die ebenso eigenwillige wie selbstbewusste Art, mit der sie von der Albtraumwelt ihrer Figuren erzählt. Lange Einstellungen, in denen wenig gesprochen wird, und falls doch, dann oft nur im Hintergrund, während die Kamera starr z.B. auf einen leeren Flur gerichtet ist, prägen die Bildsprache der jungen Regisseurin. Geschlagene sieben Minuten, stoppte Joachim Kurz auf kino-zeit.de, dauert eine Szene, in der Yana scheinbar tot mit geschlossenen Augen auf einem Waldboden liegt. Es handelt sich jedoch nur um ein Spiel mit ihrem Sohn und einen der selten Momente der Ruhe, Entspannung und vagen Hoffnung, die Kulumbegashvili ihrer Protaginistin und uns gönnt. Yana muss zurück in ihr Gefängnis, in die karg eingerichtete Wohnung des Sektenführers. Die streng kadrierten Bilder, in denen alle Figuren und Landschaften wie gestaucht und eingepresst wirken, symbolisieren dieses innere Gefängnis und die Ausweglosigkeit von Yana eindrucksvoll, die sie schließlich zu einem Mord an ihrem Sohn treibt.

Das georgische Drama beeindruckt durch seine archaische Atmosphäre, die schroffe, kompromisslose Handschrift der Regisseurin und ihre erstaunliche Reife.

„Beginning“ (im Original: „Dasatskisi“) sollte eigentlich schon im Mai in Cannes seine Premiere feiern. Wegen Corona war dies erst im Spätsommer in Toronto möglich. Von dort begann ein Siegeszug über internationale Festivals von New York bis Adelaide, in San Sebastian räumte das georgische Werk sogar vier Preise ab: die Goldene Muschel für den besten Film, Silberne Muscheln für Regisseurin, Drehbuch und Hauptdarstellerin.

Seine Deutschlandpremiere kann „Beginning“ in dieser Woche beim Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg nur virtuell feiern: bis Sonntag, 22.11., ist der Stream abrufbar. Bei der cineastischen Weltreise „Around the World in 14 films“ in der Berliner Kulturbrauerei konnte man den Film leider nicht auf der Leinwand erleben, das Festival fiel in diesem Jahr Corona zum Opfer.

Bilder: Wild Bunch International

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