Die Splatter-Phantasie eines schwarzgefiederten Todes- und Racheengels schrieben Lydia Haider und Esther Straganz, nachdem sie sich im vergangenen Jahr beim Akademikerball mit einer Kaufkarte in der Wiener Hofburg umgesehen haben.
Am letzten Freitag im Januar lädt die FPÖ alljährlich zu einer Ballnacht und setzt damit seit 2013 die Tradition des Wiener Korporations-Balls fort. Im vergangenen Jahr gaben sich FPÖ-Chef Norbert Hofer und Martin Sellner, Kopf der Identitären Bewegung, die Ehre, während Burschenschaftler aus völkisch-narionalistischen Kreisen das Tanzbein schwangen und draußen vor den Absperrungen die Gegendemonstranten ihren Unmut kundtaten.
Haider/Straganz ließen sich von ihren Erlebnissen als Gäste dieses Balls zu einem Prosatext inspirieren, den das Schauspielhaus Wien nun im Corona-Lockdown als Theaterfilm inszeniert.
Clara Liepsch spielt den geheimnisvollen Engel, der mit einer Mischung aus Staunen und Ekel durch sieben Räume der Hofburg flaniert. Jedes Wort und jede Silbe bewusst überbetonend beschreibt sie die Milieus, die ihr dort begegnen: den Baron Max, der ihr auf der Feststiege begegnet und den sie von einer Clubnacht wiedererkennt, die mittlerweile etablierten „Alten Herren“ der Verbindungen und die feist grinsenden Studenten in voller Montur mit ihren Narben und Schmissen im Gesicht.
In jedem dieser sieben Kreise der Hölle, die der Engel durchschreitet, weicht die Neugier dem Entsetzen: Blut spritzt aus den Körperöffnungen, Augen purzeln aus dem Gesicht, Körper lösen sich wie in einem Säurebad auf oder ersticken. Dieser Stoff klingt nach großem Splatter, nach Tarantino oder einem italienischen Giallo. Regisseurin und Videokünstlerin Evy Schubert hat sich für einen anderen Weg entschieden. Bis auf eine kurze Szene, in der die Protagonistin in der Küche auf ein blutiges Stück Fleisch eindrischt, wird das Gemetzel nur mit Worten geschildert, nie gezeigt.
Liepsch unterstreicht ihre Schilderungen mit ausladenden Bewegungen wie aus einem expressionistischen Stummfilm und ruft immer wieder: „Es wird auseinandergestorben!“ In ihren Monolog werden einige Archiv-Aufnahmen des Balls hineingeschnitten, ansonsten agiert sie auf einem Bühnen-Raum zwischen Kotelett-Imitat und Riesen-Pimmel, den sie gegen Ende auch durch die leeren Straßen Wiens trägt: ein etwas plumpes Symbol für die rechtsextremen Männerbünde, mit denen dieser Theaterfilm abrechnet.
Eine begleitende Webseite zum Film ist bereits online, die Bühnen-Premiere wurde auf einen unbestimmten Zeitraum nach dem Lockdown verschoben.
Bilder: Schauspielhaus Wien