interfilm 2020

Eine ungewöhnliche Ausgabe des interfilm-Festivals ging gestern zu Ende. Wir sind es gewohnt, dass eine knappe Woche lang Mitte November Hunderte von Kurzfilmen, verteilt auf diverse Formate und Sektionen, über die Leinwände der Berliner Kinos flimmern. Diesmal war alles anders: Die Short Films konnten wegen des Corona-Lockdowns nur online zu Hause auf dem Rechner über die Plattform Sooner gestreamt werden, dafür wurde das Festivalprogramm in vier Tranchen veröffentlicht und dauerte einen ganzen Monat.

Über die Preisträger*innen, die am 4. Dezember von der Jury ausgezeichnet wurden, lässt sich trefflich streiten. Die wichtigste Auszeichnung für den besten Film ging an „Tarang/Life´s Pedal“ von Arvin Belarmino: Sein fast dokumentarisch anmutender Kurzfilm über einen Rikschafahrer und eine Prostituierte auf den Philipinnen, die sich in äußerst prekären Verhältnissen durchs Leben kämpfen, ist zwar politisch sehr engagiert, wirkte künstlerisch aber nicht sehr spannend. Der Film hinterließ den Eindruck, ähnliche Geschichten auf Festivals schon oft gesehen zu haben.

Auch der Preisträger in der Kategorie „Beste Live-Action“ hinterließ keinen bleibenden Eindruck: „The Birth of Valerie Venus“ von Sarah Clift über eine Vikars-Gattin, die sich mit Hilfe der Jungfrau Maria emanzipiert, war in seinem lakonischen britischen Humor zum Schmunzeln. Besser gefiel mir „Dcera/Daughter“ von Daria Kashcheeva aus Tschechien: die Gewinnerin in der Kategorie „Beste Animation“ erzählte ganz ohne Worte von einer Tochter, die am Sterbebett ihres Vaters sitzt: Kindheitserinnerungen ziehen an ihr vorbei, der Schmerz über verpasste Gelegenheiten packt sie. Zu viel Unausgesprochenes steht zwischen den beiden Figuren, die sich mit großen, traurigen Augen anschauen.

Von den Preisträger-Filmen gefiel mir „Da Yie/Good Night“ von Anthony Nti am besten: die Jury würdigte ihn für die „Best Cinematography“, den Film tragen vor allem die beiden charismatischen Kinder-Hauptdarsteller*innen. Die draufgängerische Matilda und der zögerlichere Prince machen das, wovor alle Eltern warnen. Sie steigen in das Auto eines Fremden, der sie mit Versprechungen ködert. Der Film lebt von der Präsenz der beiden Kinder und von dem Bangen des Publikums, ob sie diese leichtsinnige Aktion gut überstehen werden.

Ich möchte einige meiner Favoriten vorstellen, die leer ausgingen: Stark war in diesem Festival-Jahrgang wieder das iranische Kino. „Emtehan/Exam“ von Sonia Hadad erzählt als packendes Kurz-Drama von einem Mädchen, das von ihrer Familie als Drogen-Kurierin missbraucht wird und in ihrer Schule in eine strenge Taschenkontrolle gerät, bei der schon jedes Smartphone und jeder Lippenstift konfisziert werden.

Satirisch setzt sich „The Manchador“ von Kaveh Tehrani mit den religiösen Kleidungsvorschriften auseinander: Wenn die Mullahs glauben, dass die weiblichen Reize auf die Männer so einen unwiderstehlichen Reiz ausüben, warum müssen sich dann die Frauen verhüllen? In einem skurrilen Gedankenexperiment spielt der Film durch, wie es stattdessen wäre, wenn sich die Männer mit verbundenen Augen und einem eigens für sie angepassten Tschador selbst schützen.

Mit Rassismus befasste sich „Skin“, den Guy Nattiv vor einem Lang-Film mit demselben Namen drehte. Dieser in den USA sehr umstrittene Film führt den Waffenfetischismus vor und mündet in eine bitterböse Pointe. Von ausweglosen Gewaltspiralen erzählt auch „Hate“ von Humza Arshad, Mustapha Kseibati. Die eleganteste politische Reflexion bot der französische Animationsfilm „Souvenir souvenir“, in dem Bastien Dubois davon erzählt, wie sein Großvater die Schrecken des Algerien-Kriegs verdrängte und stattdessen immer nur dieselben harmlosen Anekdoten erzählte.

Mit feinem Humor schildert „El Tocadiscos/Turntable“ von Yosman Serrano Lindarte, wie sich ein altes Ehepaar nach vielen Jahren erstmals wieder aus der Wohnung wagt und wie die Frau immer neue Vorwände findet, wieder das Haus zu verlassen, als sie auf den Geschmack gekommen ist. Ähnlich wie Maja Zades „status quo“ an der Berliner Schaubühne setzt sich „Un bien jour ordinaire/An ordinary day“ mit #metoo-Übergriffigkeit und sexistischer Praxis auseinander: in satirischer Zuspitzung folgt der Film den Erlebnissen eines attraktiven Soziologie-Studenten, der im Pornobusiness landet und dort mit der Umkehrung der stereotypen Geschlechterrollen zu kämpfen hat.

Bilder: interfilm Festival

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert