Zum 90. Geburtstag des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard präsentierte das Schauspielhaus Hamburg den zwei Jahre alten Endproben-Mitschnitt von „Die Übriggebliebenen“. Regisseurin Karin Henkel und ihre Dramaturgin Rita Thiele haben aus drei Bernhard-Texten eine Collage geschaffen, die mit handwerklicher Präzision die Figuren und Handlungsstränge aus den beiden Dramen „Ritter, Dene, Voss“ und „Vor dem Ruhestand“ mit dem Roman „Auslöschung. Ein Verfall“ verzahnt.
Die Bühne von Muriel Gerstner und Selina Puorger wird zu einem Zombie-Gruselkabinett: an drei Tischen sind die Figuren aus Bernhards kleinbürgerlicher Albtraumwelt voller Kunsthass, Lebensüberdruss und Altnazis aufgereiht. Lebenslang kaute Bernhard in seinen Tiraden auf denselben Themen herum, so dass sich Dialog-Passagen aus den drei stellvertretend für sein Gesamtwerk ausgewählten Texten ganz zwanglos ineinanderfügen: Ludwig (Lina Beckmann) aus „Ritter, Dene, Voss“, der aus der Klinik Steinhof zu seinen beiden Schwestern (Bettina Stucky und Gala Othero Winter) zurückkehrt, setzt ein Motiv, das Gerichtspräsident und Ex-SS-Offizier Höller (André Jung) am „Vor dem Ruhestand“-Nachbartisch aufgreift und weiterspinnt, wo er mit seinen Schwestern Vera (Angelika Richter) und Clara (Jan-Peter Kampwirth zum apathisch dasitzenden Zombie geschminkt) auf Himmlers Geburtstag anstoßen will. Nur Franz-Josef Murau, Ich-Erzähler des Romans „Auslöschung“, ist ein Fremdkörper in diesem Horror-Familien-Aufstellungs-Triptychon, in Bernhard-Manier rechnet er mit dem rechten, kleingeistigen Sumpf ab, aus dem er stammt.
Für ihre kluge Verzahnung und präzise Textarbeit wurde Rita Thiele 2019 mit dem Hamburger Rolf-Mares-Preis für die beste Dramaturgie ausgezeichnet. Eine Schwäche dieses Konstrukts ist allerdings, dass sich die Figuren in den mehr als zwei Stunden nicht entwickeln: in Endlosschleife bekommen wir die Engstirnigkeit von Thomas Bernhards Figurenpersonal vorgeführt.
Die Botschaft ist schnell begriffen, die dreifache Familien-Tragödie nimmt dennoch weiter ihren Lauf: handwerklich perfekt, aber auf die lange Strecke doch etwas zäh und eintönig. So ist es eine Erlösung, als Lina Beckmann die berühmten Brandteigkrapfen, die schon Gert Voss mit so viel Abscheu herunterwürgte, in sich hineinmampft und der Alt-Nazi Höller zur Strecke gebracht ist.
Bilder: Lalo Jodlbauer