Flüstern in stehenden Zügen

Einen skurrilen, kleinen Text von Clemens J. Setz brachten die Münchner Kammerspiele heute per Live-Stream aus dem Werkraum zur Uraufführung: C. ist nach dem Tod seiner Mutter einsam. In seiner Sehnsucht, aus der Isolation auszubrechen, hat er sich ein merkwürdiges Hobby ausgesucht: Er reagiert auf die Spam-, Scamming- und Phishing-Mails, die unsere Mailboxen fluten, ruft bei diversen Hotlines an, plaudert mit den Callcenter-Agenten, versucht sie aus der Reserve zu locken und in ein Gespräch zu verwickeln. Der Dialog misslingt jedoch bis zur Erlösung, die in der letzten Szene angedeutet ist.

Der szenisch recht unergiebige Text, der weniger wie ein Theaterstück, sondern eher wie eine Kurzgeschichte wirkt, wird so zum Loop aus Monolog-Versatzstücken einer scheiternden Kommunikation. Bekim Latifi, der gerade vom Thalia Theater Hamburg an die Münchner Kammerspiele wechselte, peppt ihn mit viel Körpereinsatz auf: er turnt kopfüber an einer Schaukel oder rollt über den Boden, während er den nächsten Anruf wagt.

Visar Morina, der an Castorfs Volksbühne Regieassistent war, zuletzt vor allem Kinofilme drehte und mit „Exil“ Anfang 2020 sowohl nach Sundance als auch zur Berlinale eingeladen war, kehrt mit dieser Uraufführung nach längerer Pause zum Theater zurück und hätte im Januar erstmals auf der Bühne Regie führen sollen, wenn der Lockdown die Premiere nicht verhindert hätte. „Flüstern in stehenden Zügen“ reiht sich ein unter die Corona-Arbeiten, die mit ihren schwierigen Lockdown-Produktionsbedingungen zu kämpfen haben. Als Hybrid aus Theater und Film kann die Uraufführung nicht zünden, spröde und papiern bleibt der lange Monolog der Hauptfigur.

Bild: Patrick Orth

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