„Ein Gespenst aus dem Krieg, für den Frieden provisorisch repariert“, so bezeichnet sich der traumatisierte Kriegsheimkehrer Beckmann (Janus Torp) selbst. In seinem autobiographisch geprägten Stationendrama ließ Wolfgang Borchert seine Hauptfigur durch Hamburg irren: geplagt von den schmerzhaften Erinnerungen, verraten von seiner Frau, obdachlos, hat Beckmann jeden Halt verloren und möchte sich das Leben nehmen.
In den Nachkriegsjahren traf Borcherts düsteres, deutlich vom Expressionismus geprägtes Stück, das er innerhalb weniger Tagen kurz vor seinem Tod noch abschließen konnte, einen Nerv. Es wurde zur Schullektüre und auch auf den Bühnen der jungen Bundesrepublik oft gespielt. Heute ist es allerdings kaum noch auf den Spielplänen zu finden.
Marcel Kohler, Schauspieler im Ensemble des Deutschen Theaters Berlin und Regisseur/Mitgründer des an der HfS Ernst Busch entstandenen Neuen Künstlertheaters, inszenierte dieses Stück als Lockdown-Theaterfilm für das Deutsche Nationaltheater Weimar: ziemlich werktreu lässt er seinen Hauptdarsteller Janus Torp, der nach dem Abschluss an der Münchner Falckenberg-Schule 2019 sein Erstengagement in der Klassikerstadt antrat, durch eine düstere Schwarz-Weiß-Szenerie taumeln. Von Gitarrenklängen des Musikers Christoph Bernewitz unterlegt, werden die bekannten Stationen des Dramas nacherzählt. Eine kleine Kammerspiel-Miniatur reiht sich an die nächste: Schon bei Borchert wirkten die Figuren, auf die Beckmann trifft, austauschbar. Sie dienen nur dazu, plakativ zu unterstreichen, wie ausweglos die Lage des Verzweifelten ist und wie sehr ihm menschliche Nähe fehlt.
Im letzten Film-Drittel lässt Kohler seinen Beckmann aus dem Schwarz-Weiß-Setting in die Gegenwart eintauchen: es kommt zwar etwas Farbe ins Spiel, aber die Szenerie in den Corona-leeren Gassen Weimars bleibt trist und niederschmetternd, bis der Protagonist schließlich im Nationaltheater ankommt und sich dort verzweifelt, von Gott und der Welt verlassen, in seinem Schmerz windend, zu Boden wirft. Rätselhaft und kitschig bleibt der Epilog, der nun folgt: Hündin Lilly stapft am Goethe-Schiller-Denkmal vorbei durch das winterliche Weimar bis vor das Tor des KZs Buchenwald über der Stadt. Den Bogen zurück zum Prolog schlägt der Theaterfilm hier nicht mehr: zu Beginn erzählte der evangelische Pfarrer Gerhard Gläser aus Nürtingen, der im Herbst seinen 102. Geburtstag feiern durfte, von seinen eigenen schmerzhaften Erinnerungen an den Krieg, die ihn vor allem nachts einholen.
Nach diesem ungewöhnlichen und interessanten Einstieg hakte der Theaterfilm während der restlichen Stunde zu brav die bekannten Stationen des plakativen Heimkehrer-Dramas ab.
Filmstills: Christoph Hertel