Es kommt selten vor, dass eine Premiere von FAZ über Frankfurter Rundschau bis Süddeutsche Zeitung so einhellig bejubelt wird wie Marco Goeckes Einstand als Ballettdirektor des Staatsballetts Hannover, die Ende Februar leider nur als Live-Stream aus dem leeren Haus gezeigt werden konnte.
Für sein Handlungsballett ließ er sich von dem autobiographisch geprägten Roman „Der Liebhaber“ von 1984 inspirieren, in dem sich Marguerite Duras an ihre Jugend in Saigon und die Amour fou mit einem wesentlich älteren Mann erinnerte. Es empfiehlt sich, sich vorab mit dem Plot-Gerüst der Vorlage, einer Collage aus Erinnerungsfragmenten, zu befassen, um Goeckes Adaption besser folgen zu können.
Die ersten Gruppen-Szenen tauchen zu vietnamesischen Klängen in die Kolonialvergangenheit der 1930er Jahre ein Die Muskeln der nackten Oberkörper der Tänzer stehen unter Hochspannung, minimalistische, zuckende Bewegungen sind ein Markenzeichen von Goeckes Tanzstil und prägen diesen Abend von Beginn an.
Langsam richtet sich der Fokus auf das Paar im Zentrum, das von Sandra Bourdais und Maurus Gauthier verkörpert wird. Die Musik wechselt zu Chopin, Debussy und Ravel, fiebrig bleibt die Atmosphäre dieser 70minütigen Tanz-Zeitreise, die mit dem melancholischen Rückblick von Heidi Lauterbach in der Rolle der Schriftstellerin Duras endet.
Nach der Online-Premiere stand der Mitschnitt dreißig Tage lang gratis zur Verfügung. Ein Ende des Lockdowns ist immer noch nicht absehbar, eine Aufführung vor Publikum nicht in Sicht, aber der Stream ist zu bestimmten Terminen wieder abrufbar, diesmal gegen Gebühr. Die nächsten Termine sind der 18. April und 23. Mai 2021.
Bilder: Ralf Mohr