Hamlet

Während sich Berlin an diesem verregneten, kühlen Wochenende langsam für die Open Air-Spielzeit rüstet, erlaubte Markus Söder in Bayern schon wieder den Spielbetrieb in den Innenräumen, sofern die Inzidenz vor Ort niedrig genug ist. Ausgerechnet der Ministerpräsident, der in den vergangenen Monaten besonders lautstark mahnte und sich in Abgrenzung von Armin Laschet, seinem Rivalen um die Kanzlerkandidatur, als strenger Landesvater und Kopf des „Team Vorsicht“ profilierte, preschte nun bei der Wiedereröffnung der Theater vor.

Davon profitierte auch das Münchner Residenztheater, das rekordverdächtig schnell reagierte und bereits am 13. Mai eine „Hamlet“-Premiere mit großem Ensemble stemmte. Das erste, was wir nach Monaten vor Netflix und Theaterfilm-Streams auf Laptop oder Smart-TV sehen, sind allerdings keine Schauspieler in Fleisch und Blut, sondern Schemen hinter Gaze. Auch als sich nach wenigen Minuten dieser erste Vorhang hebt, bleibt die Szenerie verträumt-rätselhaft. Robert Borgmann, der wie üblich nicht nur Regie führt, sondern auch die Bühne entwarf, lässt Hamlet und das weitere Personal der Shakespeare-Tragödie zu dräuender Musik durch einen Wald weißer Vorhänge wandeln.

Assoziativ greift Borgmann einige Motive aus dem berühmten Drama auf und baut expressive, bildhafte Szenen In Erinnerung bleiben vor allem das Erschrecken Hamlets über den Auftritt seines Vaters als nacktes, alle Wunden und Falten eines langen Lebens stolz zur Schau stellenden Gespensts (Michael Gempart) oder das Liebesduett zwischen Hamlet (Johannes Nussbaum) und seiner Ophelia (Linda Blümchen) an der Rampe.

Linda Blümchen, Johannes Nussbaum, Max Mayer, Christoph Franken, Sibylle Canonica

In der strengen Komposition dieser Bilder gibt es nur einen kurzen, irritierenden Moment ironischer Brechung, als das Ensemble aufgekratzt wie auf einem Kindergeburtstag einen überdimensionalen, aufblasbaren Elefanten zur Rampe bugsiert, den die Zuschauer in der ersten Reihe unter großem Hallo berühren dürfen.

Diese Szene kurz vor der Pause wirkt wie eine Zäsur: die zweite Hälfte wirkt nicht mehr so stringent durchkomponiert, sondern beliebiger. Comedy und Slapstick treten neben Ausdruckstanz, manches wirkt improvisiert, oft geradezu albern. Überzeugend ist diese zweite Hälfte nur, wenn sie sich klar fokussiert: Streckenweise wird der Abend zur Solo-Show von Johannes Nussbaum, der in die Titelrolle die Register seines Könnens zieht und sich in die Posen eines Grimassierenden und Verzweifelnden wirft. Der Rest verliert sich nicht in Schweigen, sondern recht banalen Gruppenszenen, bevor schließlich Katja Jung nach 3,5 Stunden als kettenrauchender Hannah Arendt/Horatio-Verschnitt zu einer dadaistischen Schlusspointe ansetzt.

Johannes Nussbaum

„Enttäuschend“ rief ein gelangweilter Zuschauer dem Ensemble beim Applaus zu, „wunderbar“ konterten andere. Endlich war nach Monaten der Stille wieder Leben im Residenztheater: Live-Theater mit allen Pannen und Risiken. Ein Filmriss wie von Lukas Rüppel, der mehrfach mit Hilfe der Souffleuse neu ansetzen musste und sich zwischen „Freiburg“ und „Verzweiflung“ verhedderte, ist nach Monaten vorproduzierter Theater-Filme völlig ungewohnt.

Bilder: Birgit Hupfeld

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