Stummes Land

Bitterböse endet „Stummes Land“ von Thomas Freyer: das Quartett steigert sich in einen assoziativen Wutchor hinein. Sprachfetzen eines rechten Mobs, der die Brandanschläge auf Flüchtlingsheime bejubelt und zynisch über die Not der Flüchtlinge spottet, die im Mittelmeer kentern, verdichten sich zu einem eindrucksvollen zwanzigminütigen Finale der Uraufführung im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden.

Dieser Schluss-Teil des Abends ist nicht nur auf der Textebene am stärksten, sondern auch der einzige Abschnitt, in dem Regisseur Tilmann Köhler den Text auch wirklich inszeniert und nicht nur sparsam bebildert. Benjamin Pauquet, Plachetka, Oliver Simon und Fanny Staffa kreisen begleitet von Matthias Kriegs dräuender Live-Musik über die Bühne von Karoly Reisz und sprechen die Szenen in einem zeitversetzten Chor. Abwechselnd übernimmt einer aus der Gruppe die Führung, als Loop lassen die anderen drei seinen Satz nachhallen. Das Menschenverachtende hinter scheinbar harmlosen Biedermeier-Sätzen wird sehr deutllich.

Fanny Staffa, Oliver Simon, Karina Plachetka, Benjamin Pauquet

Bis zu diesem Finale sind allerdings bereits knapp anderthalb Stunden vergangen, in denen Textmassen auf das Publikum einprasselten, die szenisch nur sehr sparsam bebildert wurden. Im Staccato nimmt der mittlere Teil des Abends die Lebenslügen der DDR als „antifaschistischer Staat“ auseinander: Freyer lässt seine Figuren im Dokumentartheater-Stil über einen Mob, der Algerier durch Erfurt jagte, und die Rolle von kommunistischen Kapos im KZ Buchenwald berichten. Atemlos entfaltet sich eine Collage von Erinnerungssplittern, die nicht ins offizielle Bild des Arbeiter- und Bauern-Staates passen, sondern unter den Teppich gekehrt wurden.

Der schwächste Teil des Triptychons ist der recht harmlose Beginn: An einem Küchentisch treffen sich vier Schulfreunde wieder. Die Lebenswege haben sich getrennt: der eine jettet als Unternehmer durch die Republik, die andere hat mit Babykotze und Kinder-Erziehung im Reihenhaus zu tun. Allen ist gemeinsam, dass sich rassistische und fremdenfeindliche Stereotype in ihren Small-Talk schleichen.

Auch wenn die szenische Umsetzung äußerst karg ist, lohnt sich die Dresdner Inszenierung von „Stummes Land“, da Freyer einen der kontroversesten und spannendsten Theater-Texte der Corona-Saison schrieb. Zurecht wurde „Stummes Land“ zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen, wo die sieben spannendsten Uraufführungen des Jahres vorgestellt werden.

Bilder: Sebastian Hoppe

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