NSU 2.0

In der Tradition des aufklärerischen Dokumentar- und Recherchetheaters steht der Theaterfilm „NSU 2.0“, den Nuran David Calis mit seinem Team am Schauspiel Frankfurt entwickelt hat. Im Setting einer Polizeiwache zeichnet „NSU 2.0“ Kontinuitätslinien rechten Terrors nach.

Als die NSU-Mordserie 2011 aufflog, beruhigten sich Teile der Gesellschaft damit, dass es sich um ein Trio (Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe) handle und der Fall nach der Verurteilung der einzigen Überlebenden zu den Akten gelegt werden könne. Diverse Untersuchungsausschüsse deutscher Parlamente auf Landes- und Bundesebene förderten erschreckende Querverbindungen und Hinweise auf ein breiteres Netzwerk zutage. Aber trotz dieser parlamentarischen Ermittlungsarbeit und auch nach dem Münchner NSU-Prozess sind zu viele Fragen ungeklärt. Die Enttäuschung darüber bringt Cem Özdemir in einem Einspieler auf den Punkt: er berichtet von dem Anruf der Tochter des NSU-Mordopfers Mehmet Kubasik, die sich bei ihm beklagte, dass die Repräsentanten des deutschen Staates ihr Versprechen nicht eingehalten haben, dass Kanzlerin Angela Merkel bei der Gedenkstunde im Februar 2012 im Berliner Konzerthaus gegeben hat: „Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen.“ Diesen Komplex beleuchtet das erste Drittel des 100minütigen Films.

Die weiteren Teile befassen sich mit der Blutspur rechten Terrors, die sich über den Mord an Walter Lübcke, den Anschlag auf die Synagoge von Halle bis zur Anschlagsserie von Hanau zieht. Lotte Schubert, Torsten Flassig und Mark Tumba zitieren aus Prozess-Akten, beleuchten biographische Hintergründe und steigen immer wieder aus ihren Rollen aus. Das Ensemble erzählt von ersten Reaktionen, als sie während Proben von den Taten erfuhren, und wie sie die Persönlichkeit der Täter wahrnehmen.

Szenisch bleibt der Theaterfilm sparsam. Er setzt ganz auf die Vermittlung von Fakten. Selten werden theatralische Verfremdungseffekte eingesetzt wie die aufgeklebten und überschminkten Augenlider von Torsten Flassig, der im Mittelteil Stephan Ernst verkörpert, der wegen des Mords an Walter Lübcke verurteilt wurde. Aber auch hier blieb die Frage nach Mittätern und Hintermännern offen.

Zwischen den Doku-Szenen auf der Polizeiwache werden kurze Talking heads-Schnipsel prominenter Politikerinnen und Politiker von (Ex)-Grünen, Linken und SPD eingespielt, die in den vergangenen Jahren Drohbriefe erhielten, die mit „NSU 2.0“ unterschrieben waren. Die aktuellsten Entwicklungen mit der Verhaftung in Berlin werden in dem Theaterfilm nicht nachgezeichnet, das folgt vielleicht in der Bühnen-Fassung, die nach dem Lockdown gezeigt werden soll.

Der Theaterfilm „NSU 2.0“ eignet sich vor allem für politische Bildungsarbeit und einen ersten Einstieg in das Thema rechten Terrors. Er bietet einen guten Überblick über Akteure und Entwicklungen im vergangenen Jahrzehnt. Wer sich schon intensiver mit dem Thema befasst hat, wird allerdings wenig Neues erfahren.

Bild: Jessica Schäfer

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